+49 (0)30 / 864 218 45 redaktion@inamo.de
inamo 85, Migration

»Migration – Flucht – Fluchtwege«

Heft Nr. 85
Jahrgang 22, Frühjahr 2016, 74 Seiten
April 2016

Mit Beiträgen von:

Axel Goldau, Hein de Haas, Ines Kohl, Gisela Baumgartz, Ben Norton, Samer N. Abboud, Pro Asyl, Jörg Tiedjen, Adam Hanieh, Gareth Porter, Pierre Asisi, Sascha Radl, Roman Deckert, Julia Joerin, Norbert Mattes, Werner Ruf und Irit Neidhardt.

Inhalte im Schwerpunkt

Migration – Flucht – Fluchtwege  

Hein de Haas: Trans-Sahara-Migration nach Nordafrika und in die EU: Historische Hintergründe

Südeuropa ist nur allzu vertraut mit irregulärer Migration aus nordafrikanischen Ländern wie Marokko, Algerien und Tunesien. Seit den frühen 1990er Jahren haben tausende Nordafrikaner versucht, das Mittelmeer zu überqueren, um Spanien und Italien zu erreichen. Der Grundlagenartikel von Hein de Haas, analysiert die Entwicklung und die Hintergründe der Trans-Sahara-Migration bis 2006. Danach folgt ein aktueller Artikel von Ines Kohl über die Migrations- und Fluchtwege durch die Sahara.

Ines Kohl: Mit Toyota Pickup oder LKW: Migrations- und Fluchtwege durch die Sahara

Zwischen 65.000 und 120.000 MigrantInnen und Flüchtlinge aus Westafrika und dem Sahel kommen jährlich in den Maghreb: 70 bis 90 Prozent durchqueren Libyen, 20 bis 30 Prozent Algerien und Marokko. Doch bevor sie ans Mittelmeer gelangen, müssen sie die Sahara durchqueren. Das Passieren der größten Trockenwüste der Erde ist anstrengend und gefährlich, benötigt spezielle Ausrüstung und logistische Unterstützung. Die von internationalen policy-making Instituten als „zentrale mediterrane Route“ beschriebene Strecke durch die Sahara besteht im Grunde genommen aus zwei unterschiedlichen Wegen mit unterschiedlichen Akteuren und Transportmöglichkeiten. Die Tuareg und die Tubu haben sich zu primären Akteuren im Geschäft mit Grenzüberschreitungen und Sahara-Durchquerungen entwickelt. Beide Routen starten im Niger.

Gisela Baumgratz: Die Auswirkung der EU-Migrationspolitik auf Marokko 

Die Wirtschafts- und Migrationspolitik der EU hat nicht nur Auswirkungen auf die Migrantinnen und Migranten, sondern auch auf Wirtschaft und Gesellschaft der Transit- und Zielländer sowie ihre historisch gewachsenen Beziehungen zu den südlichen und nördlichen Nachbarn in ihrem geopolitischen Kontext. Ein besonders markantes Beispiel ist Marokko. Seit Anfang 2000 wird das Land permanent von der EU unter Druck gesetzt, die Migration der eigenen Bevölkerung und die der durchreisenden Afrikaner(innen) aus Subsahara Afrika nach Europa einzudämmen. Die traditionell guten Beziehungen zu Spanien und Italien und zu den Ländern Westafrikas sind dadurch schwer belastet worden. In diesem Zusammenhang hat die marokkanische Diplomatie eine gewisse Widerständigkeit bewiesen. Seit September 2013 entwickelt die Regierung eine eigenständige Migrationspolitik, die zwar EU-Forderungen bis zu einem gewissen Grade entspricht, jedoch aus der Perspektive des Südens auch Anforderungen an die EU formuliert.

Eine Liste der Gesprächspartner und -partnerinnen, ein Verzeichnis der Abkürzungen und eine Bibliografie findet sich in dieser pdf.

Ben Norton: Israel gewährt 0,07% der Asylbewerber den Flüchtlingsstatus

Trotz der hohen Anzahl von Flüchtlingen, die vor Gewalt fliehen, hat Israel, gemäß einer offiziellen Statistik, die beim obersten Zivilgerichtshof am 16. Februar eingereicht wurde, keinem einzigen sudanesischen Asylbewerber den Flüchtlingsstatus gewährt. Israelische Menschenrechtsorganisationen haben Petitionen gegen das „Anti-Unterwanderungsgesetz“ eingereicht, welches sie als offen rassistisch und brutal bezeichnen. Die Rechtswissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin Dr. Hanan Chehata hat sorgfältig Israels offenen Rassismus und die Ausgrenzung afrikanischer Juden dokumentiert und als eine Art Ethnozentrismus bezeichnet. Dr. Chehata: “Offensichtlich führt Israels weißer herrschaftsbeanspruchender Zionismus zu seiner eigenen verachtungswürdigen Form von Antisemitismus“.

Gisela Baumgratz: Nordafrika im Fokus der EU Nachbarschaftspolitik: Offene Märkte – geschlossene Grenzen

Die Wirtschaftspolitik der EU  gegenüber den südlichen Mittelmeeranrainern: kritische Stellungnahmen und politische Alternativen für eine sozio-ökonomische und demokratische Transformation in den südlichen Mittelmeerländern. Hier ein Kurzbericht zu dem Kolloquium (10.-12. Oktober in Tunis) „Unabhängige Hochschulen und Förderung kritischer Forschung und Lehre als Beitrag zur Demokratisierung in Tunesien

Samer N. Abboud:  Syrien: Die humanitäre Krise

Die humanitären Kosten des Syrienkonflikts sind erschütternd. Intensität und Umfang menschlichen Leids und des Verlustes an Menschenleben haben viele Beobachter, darunter auch offizielle Vertreter der Vereinten Nationen dazu gebracht, diesen Konflikt als „eine der schlimmsten humanitären Krisen unserer Zeit zu bezeichnen“.

Pro Asyl : Türkei verletzt Flüchtlingsrechte und erhält Menschenrechtrabatt 

Weil die EU ihren Deal zur Flüchtlingsabwehr mit dem autoritären türkischen Präsidenten um jeden Preis realisieren will, schweigt Europa über die eklatanten Verletzungen von Menschenrechten und Flüchtlingsrechten in der Türkei. Berichten zufolge kommt es zu zahlreichen willkürlichen Inhaftierungen und Hunderten illegale Abschiebungen nach Syrien und in den Irak.

Inhalte im allgemeinen Teil

Gastkommentar      

Axel Goldau:  40 Jahre Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) – Der Kolonialismus ist noch lange nicht am Ende!

Ausländerfeindlichkeit

Jörg Tiedjen: Stunde der Heuchler

Islam/Staat   

Adam Hanieh: Eine kurze Geschichte des Islamischen Staates

USA-Militär 

Gareth Porter: Die US-Militärführung stellte sich gegen Obamas Politik in Syrien und Libyen               

Die jüngsten Enthüllungen von Seymour Hersh über die Bemühungen der US-Militärführung im Jahre 2013, die syrische Armee gegen die jihadistischen Kampfgruppen zu unterstützen, wirft ein wichtiges neues Licht auf die Auseinandersetzung innerhalb der US-Regierung um die Frage des Regierungswechsels in der amerikanischen Mittel-Ost-Politik. Hershs Bericht macht deutlich, dass die Politik des Regimewechsels der Obama-Regierung sowohl in Libyen als auch in Syrien auf den Widerstand des Generalstabs [Joint Chiefs of Staff (JCS)] stieß. Gereth Porter führt weiter aus, dass letztlich das regierungsbürokratische Eigeninteresse über die Überzeugung des US-Militärs, dass Amerikas Sicherheit  durch Obamas Politik des “regime-change” gefährdet sei, siegte.

Iran   

Pierre Asisi: Wahlen im Iran: regimegefährdend oder regimestabilisierend?

„Am 26.02.2016 waren die Iraner aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, um ein neues Parlament und den sogenannten Expertenrat zu besetzen. Die moderate(re) Liste „Omid“ („Hoffnung) konnte zwar die Dominanz der Hardliner im Parlament brechen, aber durch die Vorselektion des Wächterrats war eine absolute Mehrheit von vornherein ausgeschlossen, ebenso wie die progressiveren Stimmen des Reformlagers. Bei der Wahl des Expertenrats kam es  zur größeren Überraschung: Die prominenten Demagogen Mohammad Yazdi und Mohammad Taghi Mesbah-Yazdi haben es nicht in das Gremium geschafft. Der vorliegende Text wurde vor diesen Wahlen geschrieben und untersucht die Umstände unter denen die Präsidentschaft Mohammad Khatamis möglich wurde – und die reformistische Agenda unmöglich blieb. Auch wenn sich die fraktionelle Landschaft seitdem verändert hat, gibt diese Analyse weiterhin Aufschluss, um das politische Zusammen- bzw. Gegenspiel im heutigen Iran zu durchschauen.“

Tunesien       

Sascha Radl: Kritische Annäherung an die Aufstände in Tunesien vom Januar 2016

Der Artrikel ist der Versuch einer Interpretation der Aufstände vom Januar 2016. Zunächst sollen die Proteste in den historischen Zusammenhang der Neoliberalisierung des Landes seit den 1980er Jahren verortet werden. Die seit 2011 folgenden Regierungen unter der islamistischen Partei Ennahdha und später der als Wiederkehrerin des alten Regimes geltenden Nidaa Tounes sahen sich über die Weltbank, den IWF und die EU gezwungen, teilweise auch gewillt, das Land noch stärker zu neoliberalisieren. Als Folge sanken die Löhne weiter und die gesamtvolkswirtschaftliche Leistung stellte sich als immer desaströser heraus. Dies führte zur Radikalisierung einer wachsenden Zahl von Menschen, welche sich von den materiellen und sozialen Vorzügen extremistischer Gruppen , darunter Ableger des IS, angezogen fühlten. Deren Anschläge in Sousse und Tunis ließen den Tourismussektor völlig kollabieren. Insgesamt wurde auf diese Weise das Fundament der jetzigen Unruhen geschaffen.

Sudan/Südsudan    

Roman Deckert: Sudan: Deutsche Migrationsmillionen, Saudische Militärmilliarden

Ökonomiekommentar        

Julia Joerin: Der Irak ist ein Kollateralschaden des Erdöl-Wettbewerbs

 Zeitensprung

Norbert Mattes: Ashraf Marwan: Agent oder Doppelagent?

1969 nahm ein gewisser Ashraf Marwan Kontakt mit der israelischen Botschaft in London auf und bot ihr seine Dienste an. Das Brisante daran: Marwan war mit der Tochter des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser verheiratet. Nach Überprüfung durch den Mossad bekam er den Decknamen „Angel“ und war nach Einschätzung des Mossad der beste Spion, den Israel jemals hatte. Heute, neun Jahre nach dem mysteriösen Tod Marwans am 25. Juni 2007 in London, bleiben viele Fragen ungeklärt: Arbeitete „Angel“ auch für Präsident Sadat? War er „Doppelagent“, wie Eli Zeira glaubte, oder war er doch „bester Spion Israels“? Stürzte er von seiner Terrasse oder wurde er umgebracht, damit die Wahrheit nicht ans Licht kam? Besondere Brisanz bekommen diese Fragen angesichts der Tatsache, dass er kurz vor seinem Tod eine Buchveröffentlichung plante. Zu diesem Zweck hatte er den Historiker Ahron Bregman erstmals am 29. Dezember 2002 kontaktiert. Doch das Manuskript blieb nach seinem Tod verschollen.

Nachruf        

Hocine Ait Ahmed (von Werner Ruf)

Ex mediis                             

Schlumberger, Oliver ; Gatter, Peer ; Panissié, Danaë: [Hrsg.] Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (Irit Neidhardt)

Mohamed Turki: Einführung in die arabisch-islamische Philosophie (Werner Ruf)