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Der 1. Weltkrieg und der Nahe Osten

 

Gastkommentar:

„Selbst wenn der Staat ein Esel ist, steige nicht auf!“

Von Tyma Kraitt

 

Schwerpunktthema

Der Erste Weltkrieg und der Nahe Osten

Von Alexander Flores

Der nahöstlichen Weltregion sind vom benachbarten Europa erhebliche Hypotheken aufgebürdet worden. Eine der schwersten war der 1. Weltkrieg. Er hat hier nicht nur in Europa selbst schwere Gemetzel und ungeheures Leid für die Bevölkerung mit sich gebracht, sondern auch – wiederum wie in Europa – eine Ordnung begründet, die künftige Katastrophen beinahe unausweichlich macht.

Der Schwerpunkt des Heftes Nr. 79 behandelt u.a. den Bau der legendären Bagdadbahn, ab 1903, die dem Deutschen Reich die Möglichkeit bot, an der kolonialen Erschließung in Vorderasien teilzuhaben;   die Marokko-Krisen 1905 und 1911, Kaiser Wilhelms Besuch in Tanger 1905. 1911 besetzte Frankreich Fés, der Kaiser beorderte das Kanonenboot „Panther“ nach Agadir, der sogenannte „Panthersprung nach Agadir“ war Auslöser der zweiten Marokko-Krise; erst vor einigen Jahren wurde die Hilfe arabischer Beduinen bei der Rettung armenischer Kinder während des Genozids 1916 gewürdigt; mitten im 1. Weltkrieg wird vom britischen Außenminister Lord Balfour eine historische Erklärungherausgegeben, die den Juden eine „Heimstätte in Palästina“ versprach; sorgte sich Großbritannien vielleicht, dass die russischen Wirren zu viele Juden nach England treiben würden, und er suchte eine Möglichkeit sie loszuwerden, eben nach Palästina; der arabische Aufstand jagte die osmanischen Truppen aus ihren ehemaligen Provinzen und brachte die Frage nach Unabhängigkeit dieser Provinzen auf die Agenda, US-Präsident Wilson schickte auf der Pariser Konferenz die King-Crane Commission zur Befragung – Mandat oder Unabhängigkeit – in die Gebiete des Fruchtbaren Halbmondes,  Großbritannien und Frankreich lehnen eine Beteiligung ab; die Entscheidung zur Unabhängigkeit war bei den befragten Repräsentanten, Notabeln und Institutionen, überdeutlich und mündete in einer kurzlebigen syrischen Monarchie,  Emir Faisal wird König, trotz aller britischen Versprechungen wird die Teilung des Gebietes gemäß dem Sykes-Picot Abkommen (1915) durchgeführt, Frankreich marschiert in Damaskus ein und erhält das Mandat über Syrien, GB über Palästina; nach der Konferenz von San Remo folgt der Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland, untersucht werden hier die politischen, sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Folgen des Austauschs für beide Länder.

Der 2. Teil des Schwerpunktthemas 1. Weltkrieg folgt in Heft Nr. 80, Winter 2014: Wachsende imperiale Bestrebungen Großbritanniens, der entstehende Ölkapitalismus und die Herausforderung sozialer Fragen im Ersten Weltkrieg; 1921, der Prozess gegen den armenischen Studenten Soromon Tehlerjan 1921 in Berlin, der Talaat Pasha, Hauptverantwortlicher des Völkermords an den Armeniern, ermordete; deutsch-arabische Zusammenarbeit im 1. Weltkrieg: Aufbruch und Erneuerung –  Exilpolitik, Tropenmedizin, Global Sounds und Kriegsfotographie; muslimische Kriegsgefangene in den Brandenburger Lagern; die Politik des Kaiserreichs in Iran, Afghanistan und Zentralasien: Hoffnungen, (Miss-) Erfolge und Legenden.

 

Die Bagdadbahn und die deutsch-britische Rivalität in Mesopotamien

Von Alexander Bahar

Bereits seit 1875 hatte die osmanische Regierung ihren Zahlungsverpflichtungen bei (vor allem in Frankreich und England platzierten) Auslandsdarlehen nicht mehr nachkommen können. Der Preis für die Wiedererlangung der Kreditwürdigkeit des bankrotten Staates war die Akzeptanz eines „drakonischen Inspektions- und Kontrollregimes“ in Form der Ottoman Public Debt Administration (PDA), einem mit europäischen─ vor allem französischen ─ Banken- und Regierungsvertretern besetzten Aufsichtsgremium.  Um die Gläubiger zu bedienen, hatte die PDA seit 1881 ersten Zugriff auf die osmanischen Staatseinnahmen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Zinszahlungen an die PDA die zweitgrößte finanzielle Last der Türkei nach den Ausgaben für den Verteidigungshaushalt. Damit war Konstantinopel in eine De-facto-Abhängigkeit von Frankreich geraten. Die nun geplante wichtigste Landverbindung zwischen Europa und dem Persischen Golf bot der Bau der legendären „Bagdadbahn“ dem Deutschen Reich die Möglichkeit, an der kolonialen Erschließung in Vorderasien teilzuhaben.

 

Gefährlicher Besuch

Von Jörg Tiedjen

Als Wilhelm II. am 31. März 1905 Tanger besuchte, kämpfte Marokko seit Jahrzehnten verzweifelt um seine Unabhängigkeit. Bedrängt wurde es vor allem von Frankreich, das sich im Jahr zuvor mit England in der Entente cordiale verbündet hatte. Dieses Abkommen beendete die Konkurrenz der beiden Kolonialmächte um Afrika. Mit der Einschränkung, dass Spanien eigene Besatzungszonen im Norden und Süden zugestanden würden, stand einer französischen Expansion in Marokko nichts mehr entgegen – außer Deutschland. 1898 hatte der Kaiser in Damaskus „alle 300 Millionen Muslime dieser Welt“ seiner Freundschaft versichert. Jetzt konnte er beweisen, dass es sich um keine leeren Worte handelte. Wilhelm II. wusste, dass dies bedeutete, einen Krieg mit Frankreich zu riskieren, in den unweigerlich auch England mit hineingezogen worden wäre.

…Tanger war verwandelt. Die Häuser an der „Straße der Christen“, wie die einzige breitere und befestigte Gasse hinauf in die Stadt genannt wurde, waren frisch geweißt, die Dächer seit den frühen Morgenstunden voll von Schaulustigen, alles war mit Blumen und Fahnen geschmückt, Marokkaner, Spanier, Engländer und Deutsche hatten sich gegenseitig zu überbieten versucht im Errichten von Triumphbögen und Tribünen. Auch die französischen Kriegsschiffe „Du Chayla“ und „Linois“ im Hafen standen in voller Beflaggung. Am Strand wartete in einem Zelt Moulay Abdelmalek, der Onkel des Sultans, umgeben vom diplomatischen Korps, darunter Friedrich von Kühlmann, der deutsche Repräsentant….

 

Armenien: Genozid – Erinnerung an die Hilfe der arabischen Beduinen

Von Katrin Adolph und Karin Pütt

Um an den Genozid im Jahr 1915 zu erinnern, begingen syrische Armenier alljährlich eine Wallfahrt ins syrische Deir ez-Zor – einem der „Zielpunkte“ der Deportationen. Die dort vor einigen Jahren errichtete große Gedenkstätte mit Museum wurde im November 2012  – also noch vor dem Auftauchen von ISIS – beschädigt. Wer die Schäden verursacht hat und wie sie heute aussieht, ist uns nicht gelungen herauszufinden.

Bis Oktober 1915 wurden etwa 300 000 Deportierte über Aleppo in das dünn besiedelte Gebiet zwischen Deir ez-Zor am Euphrat und Mosul am Tigris getrieben. Zwischen April und Herbst 1916 starben auf diesen “Killing Fields” im weiten Umkreis des Zusammenflusses von Euphrat und Khabur wohl zweihunderttausend Menschen: verhungert, erschossen, niedergestochen, verbrannt.

Der angestoßene Prozess der Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte von Armeniern und Arabern, wie das Gedenken und die symbolische Verneigung von 12 arabischen Stammesführern vor den Opfern des Genozids, ist in den momentanen Kriegswirren untergegangen. Unter Armeniern wird die gegenwärtige Vertreibung der Christen und anderer religiöser Gruppen durch jihadistische Mordbanden mittlerweile in eine Reihe mit den Vertreibungen und dem Völkermord vor fast 100 Jahren gestellt.

Johannes Lepsius und die Akten des Auswärtigen Amtes

Der deutsche Theologe, Missionar, Politiker und Historiker Johannes Lepsius veröffentlichte mitten im Ersten Weltkrieg seinen «Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei», den er in einer Auflage von 20000 Exemplaren an die protestantischen Pfarrämter verteilte. Weiterhin publizierte er «Deutschland und Armenien 1914-1918. Sammlung diplomatischer Aktenstücke», Dokumente des Auswärtigen Amtes aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, Dokumente zur Orientpolitik des Kaiserreichs sowie speziell zum Thema Armenier und Armenien. Die deutsche Regierung hatte nur wenige Monate nach Kriegsende ihre Archive den Genozid an den Armeniern betreffend geöffnet. «Kein westliches Land konnte mehr zur Aufklärung des Menschheitsverbrechens beitragen als das mit der Türkei verbündete Kaiserreich, denn deutsche Militärs waren in allen militärischen Organisationen der Türkei in Spitzenpositionen vertreten, deutsche Diplomaten hatten zum Teil engen Kontakt zu den Verantwortlichen und noch am ehesten Zutritt zu den Orten des Grauens.»

Nach dem 2. Weltkrieg entdeckten Genozidforscher, dass die von Lepsius veröffentlichten Akten nicht vollständig waren. Aus dem Vergleich der veröffentlichten Dokumente mit den Originalen des Auswärtigen Amtes konnte festgestellt werden, dass es Auslassungen und Fälschungen gegeben hatte. «Systematisch wurden wichtige Hinweise auf die Politik des Deutschen Reichs in Sachen Völkermord, eine deutsche Mitverantwortung sowie eine Beteiligung beispielsweise deutscher Offiziere an Repressionen gegen die Armenier unterdrückt. Auch waren die Namen wichtiger türkischer Beteiligter am Völkermord in der Regel ausgelassen worden.» Das Auswärtige Amt hatte die Dokumente manipuliert und versucht, Spuren zu verwischen. Lepsius hatte nichts davon bemerkt. «Die Unterlagen der einzigen quasi-offiziellen Aktenpublikation des Auswärtigen Amts über den Ersten Weltkrieg wurden nur ein Jahr nach der Veröffentlichung der Dokumente verbrannt – ein ungewöhnlicher Vorgang in einer Behörde, die sehr behutsam mit wichtigen Schriftstücken umzugehen gewohnt ist.»

 

Großbritanniens imperiale Interessen  –  Kriegsziel Jüdische Heimstätte

Von Rolf Verleger

Im Jahr 1917 schrieb der britische Außenminister Lord Balfour seine historische Deklaration, dass die Regierung Seiner Majestät die Einrichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina mit Wohlwollen betrachte.

Wieso gab mitten im Ersten Weltkrieg die britische Regierung eine solche Erklärung heraus? Wieso ausgerechnet in diesen aufgewühlten Zeiten? Wieso erfolgte die romantisch anmutende Ansiedlung einer „Heimstätte“ kurz nach dem Attentat von Sarajewo, dem Massensterben von Verdun, den österreich-italienischen Gebirgsjägermetzeleien, den russischen Revolutionen?

Dieses zeitliche Zusammentreffen wirkt zunächst ganz zufällig. Allenfalls könnte man sich einen Zusammenhang mit den russischen Revolutionen von 1917 vorstellen: Großbritannien sorgte sich vielleicht, dass die russischen Wirren zu viele Juden aus dem Zarenreich nach England treiben würden, und suchte prophylaktisch eine Möglichkeit, diese loszuwerden, eben nach Palästina.

 

Die King-Crane Commission und ihre zionistischen Kritiker

Von Norbert Mattes

Während des 1. Weltkriegs begannen Großbritannien und Frankreich ihre Interessen im Nahen Osten abzustecken. Nachdem es Großbritannien nicht gelungen war, das Osmanische Reich militärisch in die Knie zu zwingen, war es gezwungen, eine Allianz mit den Arabern gegen Deutschland und das Osmanische Reich einzugehen. Das Zustandekommen dieser Allianz wurde nur möglich durch Unterstützung der Loslösung vom Osmanischen Reich und durch (wenn auch) vage Versprechungen der zukünftigen Unabhängigkeit. Gleichzeitig kollaborierten die Kolonialmächte und teilten sich im Sykes-Picot Abkommen das Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes unter sich auf. Nach dem 1. Weltkrieg setzten die Amerikaner auf der Pariser Konferenz eine Untersuchungskommission durch, die King-Crane Commission. Sie bereiste die Gebiete des Fruchtbaren Halbmondes (Palästina, Libanon, Bilad ash-Sham/Syrien) und befragte Organisationen, religiöse Würdenträger, Notabeln, Minderheiten nach ihren Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung.

 

 

Die kurzlebige Monarchie Syriens und die imperiale Politik der Kolonialmächte

Von Norbert Mattes

„Kriegsziele und falsche Versprechungen“ heisst eine Zwischenüberschrift in Alexander Flores Artikel. Das Kriegsziel wird erreicht, den falschen Versprechungen der Kolonialmächte folgen Taten: In der Nachkriegsregelung wird der Fruchtbare Halbmond zerstückelt. Trat König Faisal noch für eine arabische Regierung ein und kämpfte die große Mehrheit für die Unabhängigkeit der arabischen Gebiete, so war mit der Niederlage von Maysalun und der Flucht der Regierung Faisal 1920 der Traum zu Ende. Die Kolonialmächte begannen jetzt mit der Durchsetzung kolonialer Strukturen. Im Libanon waren schon französische Soldaten, Irak fiel gemäß dem Sykes-Picot Abkommen an Großbritannien, Syrien wurde Mandatsgebiet, Palästina Protektorat, ein Teil wurde zu Transjordanien, im anderen Teil verfolgten die Zionisten ihr Ziel der Staatsgründung.  Der Völkerbund segnete dies ab, was von einem Regierungsmitglied Faisals mit der „Überlegenheit des weißen Mannes“ kritisiert wird.

 

Griechenland und die Türkei: Der Bevölkerungsaustausch und seine Folgen

Von Ellinor Morack

Anders als in Griechenland, wo die „ausgetauschten“ Migranten seit den 20ern Jahren eine eigene Identität bewahrten, die sich aus ihrer kollektiven Erfahrung von Flucht, Vertreibung, Armut und Diskriminierung speiste, waren die „Ausgetauschten“ in der Türkei bis in die 1990er Jahre praktisch unsichtbar. Heute meinen viele ihrer Nachkommen, die sich erst seit etwa fünfzehn Jahren in Kulturvereinen organisieren, der Austausch sei eine relativ „saubere“ Migration gewesen. Aber ist das tatsächlich so? Gelang es wirklich, Menschen und Güter auf gerechte und humane Weise „auszutauschen“? Welche politischen, sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Folgen hatte der Austausch für beide Länder?

 

Palästina/Israel

Das “System Oslo” und der Krieg gegen Gaza

Von Helga Baumgarten

Von Anfang Juli bis Ende August 2014 tobte Israels  Krieg gegen Gaza:  fünfzig Tage lang, vom 7. Juli bis zum Waffenstillstand am  Abend des 26. August, bombardierte und beschoss die israelische Armee den Gaza-Streifen im längsten Krieg, den Israel je geführt hat. Die palästinensischen bewaffneten Organisationen, allen voran die der Hamas und des Islamischen Jihad, beschossen derweil Israel, meist mit selbstgebauten Raketen, die inzwischen Tel Aviv, Jerusalem und  Eilat erreichen. Die Opfer im Gazastreifen waren vor allem Zivilisten, zwischen 70 % und 80 % der über 2.100 Getöteten. Auf der israelischen Seite wurden  66 Soldaten in direkten Auseinandersetzungen mit palästinensischen Militanten getötet.  6 Zivilisten starben durch palästinensische Raketen. Die Asymmetrie dieses Krieges spiegelt sich in den Zahlen wieder und bedarf keiner näheren Erläuterung.

 

 

Wie Israel das internationale Recht durch “juristische Kriegsführung” aushöhlt

Von Jeff Halper

Operation  Protective Shield war nicht nur der militärische Angriff auf eine vorwiegend aus Zivilisten bestehende Bevölkerung. Wie in seinen vorangegangenen ‘Operationen’ Cast Lead – im Jahre 2008/09 und Pillar of Defense im Jahre 2012, war es auch Teil eines andauernden Angriffes auf das humanitäre Völkerrecht (IHL) durch ein exzellent koordiniertes Team von israelischen Anwälten, Offizieren, PR-Leuten und Politikern, angeführt von einem Ethikphilosophen. Das Ziel der Bemühungen ist es nicht nur, zu verhindern, dass Israel wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte und internationaler Gesetze belangt werden kann, sondern auch, anderen Regierungen dabei zu helfen, derartige Einschränkungen zu umgehen, wenn auch sie sich in eine ‘asymmetrische Kriegführung’, ‘Niederschlagung eines Aufstandes’ oder ‘Terrorismusbekämpfung’ gegen Menschen begeben, die sich gegen ihre Herrschaft wehren. Es handelt sich um eine Kampagne, die Israel ‘juristische Kriegsführung’ nennt (lawfare).

 

Israels falsches Selbstverteidigungsargument

Von John Dugard

Israel behauptet, es handle im Gazastreifen in Selbstverteidigung und stellt sich damit als Opfer im aktuellen Konflikt dar. Präsident Obama und beide Kammern des U.S. Kongresses haben diese Rechtfertigung von Gewalt unterstützt. Aber handelt es sich hier um eine zutreffende Einschätzung der Situation? Gaza ist kein unabhängiger Staat wie etwa Libanon oder Jordanien. Israel akzeptiert das, bezeichnet den Gazastreifen jedoch als „feindliche Entität,“ ein Konzept, das so im Völkerrecht nicht existiert und das sich Israel auch nicht zu erklären bemüht.

Der Status des Gazastreifens: Er ist besetztes Gebiet – Teil des besetzten palästinensischen Territoriums. 2005 zog Israel seine Siedler und die Armee aus dem Gazastreifen zurück, kontrolliert das Gebiet aber weiterhin, nicht nur durch wiederholte Einmärsche und regelmäßige Bombardierungen des Gebiets, sondern auch durch die faktische Kontrolle aller Grenzübergänge zum Gazastreifen, des Luftraums, territorialen Gewässer und des Bevölkerungsregisters, das bestimmt, wer das Gebiet verlassen und betreten darf.

 

 

Israelische Teenager: Rassistisch und stolz darauf

Von Or Kashti

„Für mich sind Araber etwas, was ich nicht anschauen und nicht ausstehen kann“, sagt eine Schülerin einer 10. Klasse einer Highschool in der Landesmitte in einem furchtbaren Hebräisch. „Ich bin sagenhaft rassistisch. Ich komme aus einem rassistischen Zuhause. Wenn ich in der Armee die Gelegenheit bekomme, einen von ihnen zu erschießen, werde ich nicht darüber nachdenken. Ich bin bereit, jemanden mit meinen Händen zu töten, und dieser jemand ist ein Araber. In meiner Erziehung habe ich gelernt, dass … ihre Erziehung es ist, Terroristen zu sein, und dass man ihnen nicht glauben kann. Ich lebe in einer Gegend von Arabern. Und jeden Tag sehe ich diese Ismaeliten, die an der [Bus] Haltestelle vorbeigehen und pfeifen. Ich wünsche ihnen den Tod.“ Dies ist der Kommentar einer Schülerin, festgehalten in dem demnächst erscheinenden Buch „Szenen aus dem Schulleben“ (Hebräisch), von Idan Yaron und Yoram Harpaz. Anthropologische Beobachtungen in einer der „durchschnittlichsten Schule, die wir finden konnten“, sagt Pädagogikprofessor Harpaz.

 

Samih al-Qasim (1939-2014)

Von Claudia Ott

Die Trauer ist groß um den Dichter Samih al-Qasim, der am 19. August 2014 nach langer Krebserkrankung im Alter von 75 Jahren in einem Krankenhaus in Safad/Galiläa starb. Er galt als letzter großer Leuchtturm der palästinensischen Widerstandsdichtung, die ägyptische Presse bezeichnete ihn als eine ihrer „Pyramiden“.

Samih al-Qasim wurde am 11. Mai 1939 in Zarqa (heutiges Jordanien) geboren. Seine Familie stammte aus Rama/Galiläa und gehörte der drusischen Bevökerungsgruppe an, in der beide Großväter bedeutende Ämter innehatten: der eine Großvater war drusischer Imam von Rama, der andere einer der wichtigsten drusischen Rechtsgelehrten in Palästina. Samihs Vater war als Offizier bei den palästinensischen Grenztruppen stationiert, kehrte aber schon bald nach Samihs Geburt an die palästinensischen Küste zurück. Samih kehrte nach kurzem Auslandsstudium ebenfalls wieder in die Heimat zurück und arbeitete seit 1957 als Lehrer, Journalist und Redakteur. Einer Einberufung zum israelischen Militär – wie bei Drusen üblich – verweigerte er sich, was seinen ersten Gefängnisaufenthalt nach sich zog, dem viele weitere folgen sollten. Qasim war Gründungsmitglied der drusischen Jugendorganisation al-Ahrar und seit 1967 Mitglied der Kommunistischen Partei Israels.

 

Seine politische Lyrik war anfangs eindeutig und offen. Nach 1967 emanzipierte sich der Dichter von den Vorgaben der poetischen Traditionen und schrieb daraufhin eher indirekte und mehrdeutige Lyrik. Seine Stilmittel wurden vielfältiger, er verfasste Prosa- und Dialoggedichte, Langgedichte, aber auch kurze, kryptische Epigramme.

 

 

Irak

Im Irak … was meine Tante über die KIA-Frau weiß

Von Omar al-Jaffal

In der libanesischen Tageszeitung as-Safir  schreibt der irakische Publizist Omar al-Jaffal ironisch-distanziert über die Alltagsnöte der arbeitenden Frauen im Irak. Die Gesellschaft kann es sich nicht mehr leisten, auf die Ressource Frau im Kampf um den Lebensunterhalt zu verzichten. Dennoch wird den Frauen übel mitgespielt, tribale Strukturen wirken sich für sie äußerst belastend aus. Noch schlimmer wird ihre Situation durch die katastrophale Sicherheitslage und einen extrem rückschrittlichen Gesetzesentwurf der Regierung.

 

Von Anbar bis Ninawa: Die Unterdrückung der Sunniten als Weichenstellung für den Islamischen Staat

Von Tyma Kraitt

Der Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) bringt nun all jene Kräfte des Irak zusammen, deren gegenseitige und oftmals blutig ausgetragene Entfremdung die aktuelle Krise erst heraufbeschworen hat.

 

Syrien

Syrien ging das Erdöl aus – Ein Blick auf den Energiesektor und die verpassten Chancen

Von Konrad Schliephake

Das syrische Drama spielt sich am Rande der wichtigsten Erdölregionen der Welt ab, dem „Ölfleck auf dem Globus“. Doch warum greifen die energiehungrigen Großmächte, die sich sonst überall für ungestörte Versorgung engagieren, nicht ein? Ist Syrien selbst ein wenig relevanter Randstaat mit uninteressanten Energiebilanzen? Unser anschließender Überblick zeigt ein durchwachsenes Bild von einem Land, das für die Welt-Energieversorgung (siehe Überblick bei Schliephake Energiewirtschaft weltweit, 2008) zwar weder regional noch global große Bedeutung besitzt, das aber eine der Drehscheiben des Energietransportes hätte sein können.

 

Westsahara

Westsahara – Wie durch Ressourcen-Plünderung eine friedliche Konfliktlösung ausgehebelt wird

von Axel Goldau

Der Kolonialkonflikt um die Westsahara, Afrikas letzter Kolonie, wird immer unübersichtlicher, weil immer mehr Akteure in diesen Konflikt drängen: Das US-Unternehmen Kosmos Energy ist kurz davor, auf hoher See vor der Westsahara unter marokkanischer Lizenz nach Öl zu bohren. Die Bohrungen soll ein weiteres US-Unternehmen vornehmen, das eigens für diesen Zweck in Korea ein Spezialschiff hat bauen lassen. Da sich keine europäischen Seismik-Firmen mehr finden, rückt bereits ein chinesisches Unternehmen in die Hoheitsgewässer des fremd-verwalteten Gebietes Westsahara ein.

 

Sudan
Deutscher Jihad für Darfur: Der Sudan im Ersten Weltkrieg

(Der Beitrag wurde in der in Khartoum erscheinenden „Al-Sudani“ in arabischer Sprache veröffentlicht.)

Von Roman Deckert

Die Militarisierung der politischen Ökonomie im heutigen Sudan und Südsudan ist aus der Kolonialzeit erwachsen. Deutschland hatte seinen historischen Anteil daran.

Kommt man als Deutscher in den Sudan, ist man schnell überwältigt von der dortigen Deutschfreundlichkeit. Diese beruht unter anderem auf der weitverbreiteten Wahrnehmung, dass Deutschland keine kolonialen Erblasten in dem Land zu verantworten habe. Dabei handelt es sich freilich um einen Irrtum, denn die deutsche Rolle im Sudan war zwar nicht so offensichtlich wie die anderer Großmächte, aber durchaus von zentraler Bedeutung.

 

Ökonomiekommentar

So wie Big Tobacco zielt Big Energy auf die Entwicklungsländer in Bezug auf künftige Profite

Von Michael T. Klare

Ein Anstieg von Kohlenstoffverkäufen an Nicht-OECD-Länder wird dazu beitragen, eine humanitäre Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes zu schaffen.

 

Zeitensprung

Calouste Gulbenkian (Mister 5%) – Mittler zwischen Öl und Markt. Eine biographische Skizze

 Von Konrad Schliephake

Auf der Flucht vor den Armenier-Massakern 1895/1896 lernte Calouste Gulbenkian in Alexandria seinen Landsmann Alexander Mantashev (armen.: A. Mantassian, 1842-1911) kennen, einen der reichsten Männer Russisch-Kaukasiens.  1904 trug er ihm die Idee zum Bau einer Erdölpipeline vor und so wurde 1907 die erste europäische Erdölpipeline fertiggestellt.

Als einer der ersten hatte Calouste Gulbenkian die kommende  Bedeutung des Rohstoffs Erdöl erkannt, und sorgte für Vertragswerke,  die den Lagerstätten-Ländern den Schutz der Ressource (und einen angemessenen Ertrags-Anteil) und den Förder-Konsortien das Risiko, die Vermarktung und gute Gewinne übertrug.  Nur in der damals noch verschwiegenen Szene der Erdölwirtschaft und in seiner armenischen Gemeinschaft war Calouste Gulbenkian ein bekannter Mann. Vielen heutigen Betrachtern der Energiewirtschaft sagt der Name nichts mehr. Doch sein Erbe lebt mit seinen Stiftungen und Museen –und mit seinem UnternehmenPartex.

 

Ex Mediis

John B. Judis, Genesis. Truman, American Jews, and the Origins of the Arab/Israeli Conflict, New York, Farrar, Straus and Giroux, 2014, S. 432   (Malcolm Sylvers)

 

Georges Corm: Pour une Lecture Profane des Conflits. (Für eine profane Lektüre der Konflikte.) Paris La Dêcouverte 2012. 275 S., 19,50 €.             (Werner Ruf)

 

Klas, Gerhard/Mader, Philip (Hg.): Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik, Campus Frankfurt New York, 2014

(Gabi Bieberstein)