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Gastkommentar

Wie steht es um die Chancen einer echten Demokratie in Tunesien?

Von Horst-Wolfram Kerll

 

Tunesien im Frühling

Die tunesische Verfassung vom Januar 2014

Von Werner Ruf

Al dustur – die Verfassung – ist in Tunesien schon beinahe ein mythischer Begriff. Das kleine Land hatte sich schon vor der Kolonisation eine an die klassischen Kriterien bürgerlichen Verfassungen angelehnte Konstitution gegeben. Dies spiegelt die neue Verfassung ebenso wie die Erfahrung mit zwei fast sechs Jahrzehnte dauernden Diktaturen. Die Verfassungswirklichkeit wird jedoch entscheidend abhängen von den politischen Kräfteverhältnissen, die sich aus den wohl im Herbst stattfinden zweiten freien Wahlen in Tunesien ergeben.

 

Das antihegemoniale Projekt Netzwerk Dusturna

Von Gisela Baumgratz

In den nunmehr drei Jahren seit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali haben es die Parteien der demokratischen Linken nicht geschafft, gemeinsam ein glaubwürdiges politisches Programm zu entwickeln, das Problemlösungen für die sozialen und ökonomischen Bedürfnisse der Bevölkerung anbietet. Nur  engagierten zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Netzwerk Dusturna im Verbund mit den Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Gewerkschaft UGTT, Journalisten und Künstlern ist es zu verdanken, dass Ende 2012 und 2013 zwei „Versammlungen der Zivilgesellschaft“ unter Beteiligung von 250 respektive 300 Organisationen stattfinden konnten, bei denen konkrete Vorstellungen zu den Zukunftsperspektiven des Landes entwickelt und eine Strategie zur besseren Vorbereitung der Bevölkerung auf die anstehenden Wahlen entwickelt wurde.

 

Wirtschaftsmodell Tunesien am Scheideweg

Von Said el-Metni

Der Autor Said el-Metni plädiert für eine armutsorientierte Wirtschaftspolitik in Tunesien, ohne die die bestehenden Entwicklungsdefizite, die zur Revolution geführt haben, nicht behoben werden können.

Gewerkschaft und politischer Mediator – die UGTT nach 2011

Von Richard Probst

„Tunesien steht nach den Umbrüchen von 2011 in der arabischen Welt als leuchtendes Beispiel dar“. Sätze wie diesen konnte man, seit der Verabschiedung der Verfassung durch die tunesische Verfassungsgebende Versammlung am 26. Januar 2014, in zahlreichen Beiträgen internationaler Medien lesen. Auch wenn sich über diesen Satz trefflich streiten lässt, steht Tunesien in anderer Hinsicht in der arabischen Welt als leuchtendes Beispiel dar. Mit dem Gewerkschaftsverband UGTT (Union Générale Tunisienne du Travail) weist Tunesien eine der wenigen genuinen Gewerkschaften der Region auf, die sich durch ihre hohe Repräsentativität und innere demokratische Strukturen auszeichnet.

 

Die Frauenbewegung zwischen Vereinnahmung und Opposition

Von Eva Christine Schmidt

Am 13. August 2013, dem tunesischen Frauentag, fanden in Tunis zwei Demonstrationen statt: eine große Demonstration, zu der das säkulare Frauenrechtskollektiv Hrayer Tounes(freie Frauen Tunesiens) aufgerufen hatte und das die Absetzung der Regierung forderte, sowie eine kleinere, von der Regierung organisierte Veranstaltung, die unter dem Motto „die tunesische Frau, Säule der Transition und der nationalen Einheit“ die Legitimität der Regierung beschwor und an der islamische Frauenorganisationen teilnahmen. Der nationale Frauentag ist symptomatisch für die aktuelle Situation der tunesischen Frauenbewegung und ihre Rolle im tunesischen Demokratisierungsprozess, weil er die Spaltung der Bewegung in religiöse und säkulare Aktivistinnen widerspiegelt und die bedeutende Rolle von Frauenrechten, aber auch ihre politische Vereinnahmung, im Konflikt zwischen Opposition und Regierung aufzeigt.

 

Der misslungene Versuch der Islamisierung der Hochschulen

Von Khaled Chaabane

Die Schaffung von ausreichend Arbeitsplätzen ist eine Hauptforderung vieler Tunesier. Denn mit ca. 13 % im Jahre 2010 hat die Arbeitslosenquote ein bis dahin unbekanntes Ausmaß erreicht. Sie traf und trifft immer noch auch einen großen Teil der Hochschulabsolventen.

 

(Medien-) Öffentlichkeiten: Spaltung oder/und Vielfalt

Von Anna Antonakis-Nashif und Khouloud Mahdhaoui

Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt berichten am 28.01.2014 aus der tunesischen Verfassungsgebenden Versammlung (ANC). Die Unterschriften von Präsident Marzouki, Parlamentschef Ben Jaafar und Regierungschef  Larayedh markieren eine Zäsur im zweieinhalbjährigen institutionellen Prozess, in dem der Raum, den zivilgesellschaftliche Organisationen als auch Medien von nun an besetzen sollten, neu ausgehandelt werden musste. Dieser politische Prozess nahm zumindest im nationalen Mediensystem eine zentrale Stellung ein: öffentlich wurde über das teilweise zähe Ringen um einzelne Artikel und Paragraphen berichtet. Unabhängig davon entwickelten sich allerdings auch regionale Öffentlichkeiten, die angesichts drängenderer lokaler Problematiken den langatmigen Verhandlungen in der Hauptstadt wenig Bedeutung einräumten.

 

Islam und Islamismus

Von Mohamed Turki

In einem Artikel der Zeitung Le Monde vom 19. Januar 2014 schrieb Kamel Jendoubi, der frühere Leiter der Wahlkommission für die verfassungsgebende Versammlung, dass die neue tunesische Verfassung keine Garantie für die Verwirklichung der Demokratie in Tunesien darstelle. Er verweist auf die Gefahren, die den bisherigen Prozess der Demokratisierung seitens der islamistischen Kräfte im Lande bedrohen und ruft zur Wachsamkeit auf, allen voran mit der islamistischen Partei Ennahda, die in der Übergangsphase zur Troika gehörte und die Regierung leitete. Diese Skepsis scheint mehr als berechtigt zu sein, da Jendoubi in den letzten drei Jahren seit dem Aufbruch des ‚Arabischen Frühlings‘ genügend Gelegenheit hatte, sich mit der Führung dieser Partei in der Regierung und  der Verfassungsgebenden Versammlung näher zu befassen. Sein Fazit: „Die Erfahrung hat gezeigt,  dass man sich vor dem doppelten Diskurs der Islamisten in Acht nimmt. Die Verfassung ist eine wichtige Errungenschaft, aber sie wird selber den Gang der Ereignisse nicht bestimmen.“

 

Afghanistan

Unsinkbarer Flugzeugträger der USA

Von Matin Baraki

Die NATO hat für Dezember 2014 das Ende ihres Kampfeinsatzes in Afghanistan angekündigt. Die ersten Abzugsmaßnahmen sind schon eingeleitet. Den afghanischen Sicherheitskräften wurde am 18. Juni 2013 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übertragen. Aber in der Peripherie, wo die NATO-Einheiten abgezogen sind, haben die Taliban die Kontrolle übernommen.

 

Ägypten

„Wir kämpfen jetzt an zwei Fronten“

Julia Tieke im Gespräch mit Elham Eidarous

 

Im November 2013 hat sich in Ägypten die linke Partei „Brot und Freiheit“ gegründet, nachdem etwa 300 Mitglieder aus der „Sozialistischen Volksallianz” ausgetreten waren. Elham Eidarous koordiniert das Leitungskomitee der neuen Partei, für deren offizielle Registrierung 5.000 Gründungsmitglieder benötigt werden. Julia Tieke hat sie für inamo Mitte Januar in Kairo interviewt.

 

Israel

Teile und herrsche in Nazareth?

Von Jonathan Cook

In Nazareth und seiner Umgebung leben tausende christliche Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Zunehmende Versuche Israels, seine große palästinensische Minderheit entlang konfessioneller Grenzen zu spalten, haben Befürchtungen verstärkt, dass es in der biblischen Stadt Nazareth wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen wie vor 15 Jahren kommen könne. Spannungen in der Stadt, Heimatstadt von Jesus und jährliches Reiseziel hundertausender Touristen, haben in den letzten Monaten stark zugenommen, nachdem die israelische Regierung Pläne veröffentlicht hatte, christlichen Schulabgängern den Militärdienst nahe zu legen. Christliche und Muslimische Gemeinden in Nazareth werfen jetzt der israelischen Regierung vor, sie gegeneinander ausspielen zu wollen.

 

Türkei

Korruption in der Türkei –Vom Juni-Aufstand zur Palastrevolution

Von Errol Babacan

Die durch die Korruptionsermittlungen offenkundig gewordene Regierungskrise in der Türkei kann als Spiegelbild einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie interpretiert werden. Im Gegensatz zum Juni-Aufstand, der subalternen Protest gegen einen aggressiver werdenden islamischen Konservatismus und das neoliberale Entwicklungsmodell zusammenführte, erscheint der derzeitige Kampf als eine Palastrevolution. Die sich ankündigende ökonomische Krise lässt mit einer Verschärfung der politischen Turbulenzen rechnen.

 

Syrien

Von wem stammt das Sarin?

Von Seymour M. Hersh

Als Barack Obama diesen Herbst darzulegen versuchte, dass Bashar al-Asad den Chemiewaffenangriff in der Nähe von Damaskus am 21. August zu verantworten habe, erzählte er nicht die ganze Geschichte. Teils ließ er wichtige nachrichtendienstliche Erkenntnisse weg, und teils präsentierte er Vermutungen als Tatsachen. Vor allem ließ er etwas außer Acht, das den US-amerikanischen Nachrichtendiensten bekannt ist: dass die syrische Armee in diesem Bürgerkrieg nicht die einzige Partei ist, die Zugang zum Nervengift Sarin hat, das laut einer UN-Studie – in der nicht auf die Schuldfrage eingegangen wird – bei dem Raketenangriff eingesetzt wurde.

 

Whose Sarin?: „Wir untersuchen es gerade“

Diskussion: Amy Goodman und Seymour Hersh

Zu Gast bei Amy Goodman (Democracy Now) ist der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh, um über seinen neuen Artikel zu sprechen, in dem er die Behauptung der Obama-Regierung anzweifelt, dass nur Asads Regime die Chemiewaffenangriffe im Damaszener Vorort Ghouta Mitte dieses Jahres hätte durchführen können. In seinem in der London Review of Bookserschienenen Artikel argumentiert Hersh, die Obama-Regierung habe „sich die Rosinen aus Informationen der Nachrichtendienste“ gepickt, „um einen Schlag gegen Asad zu rechtfertigen“. Die Regierung versäumte es, offenzulegen, dass sie davon wusste, dass syrische Rebellen der Jabhat an-Nusra in der Lage war, chemische Waffen herzustellen. Auch in den Tagen nach dem Angriff sichergestellte Beweise sollen verzerrt worden sein, um es so aussehen zu lassen, als seien sie zur Zeit des Geschehens zusammengetragen worden.

 

Ghouta: Wo ist der Beweis?

Von Jörg Tiedjen

Am 21. August 2013 meldeten oppositionelle Kräfte aus der Ghouta, dem grünen Umland von Damaskus, mehrere Giftgasangriffe. Die Zahl der Todesopfer wurde mit über 1.000 angegeben, später sanken die Schätzungen unter 300. Regierung und Opposition beschuldigten sich gegenseitig. US-Präsident Barack Obama sah die „rote Linie“ überschritten, die er ein Jahr zuvor am 20. August 2012 gezogen hatte, als er für den Fall eines Giftgaseinsatzes der Regierungsarmee militärische Vergeltung ankündigte. Russland sprach von einem Angriff der Rebellen, der der Regierung zur Last gelegt werden sollte, um die USA zum Eingreifen zu veranlassen. Die Situation spitzte sich am 31. August zu, als die von Obama angedrohte Intervention unmittelbar bevorzustehen schien. Doch plötzlich wurden die Kampfbomber vom Rollfeld zurückgerufen. Zwar sicherte Damaskus die Vernichtung aller Chemiewaffenbestände zu. Wer aber für den Giftgaseinsatz in der Ghouta verantwortlich war, blieb trotz UN-Untersuchung ungeklärt.

 

Das Asad-Regime und die Jihadisten: Kollaborateure und Verbündete?

Von Aymenn Al-Tamimi

Von Anfang an wurde gewarnt, dass die Militarisierung des Konflikts Syrien in ein Kampfgebiet von Jihadisten verwandeln könnte. Zuerst wurde das von der Opposition unter den Teppich gekehrt: Die paar Islamisten würden keine Rolle spielen. Dann wurde der Zulauf von Jihadisten stärker, einer nach dem anderen überquerte in der Türkei die grüne Grenze und ließ sich dann von den Rebellen besolden. Weiter galt alles als harmlos: Je mehr kämpften, desto schneller würde das Regime stürzen. Noch Ende 2013, als die Nachrichten über Gräueltaten, Folter und Entführungen durch die Jihadisten sich immer mehr verbreiteten, behaupteten Basma Qodmani und Radwan Ziaydeh immer noch, dass die Jihadisten eine Minderheit stellten. Da offensichtlich alles Unter-den-Teppich-Kehren nichts mehr nützt, zauberte die Opposition ihre These von der Zusammenarbeit des Regimes mit ISIS herbei. Aber nur dank der Opposition selbst konnten die Jihadisten in Syrien Fuß fassen, meint Aymenn al-Tamimi.

 

Sudan – Südsudan

Die Brüder Bashir und Kiir

Durch die verheerenden Machtkämpfe mutiert der Südsudan rasant vom westlichen Liebling zum Schurkenstaat, während der sonst meist als Bösewicht geltende Sudan bislang eine positive Rolle spielt.

 

Wirtschaftskommentar

Mit Mikrokrediten gegen Armut – eine gefährliche Illusion

Von Gabi Bieberstein

 

Zeitensprung

Putsch gegen Mossadegh 15.August 1953

Von Asghar Schirazi

Der iranische Ministerpräsident Mossadegh legte 1951 dem Parlament ein Gesetzesentwurf zur Verstaatlichung der iranischen Ölindustrie vor, der im März vom Parlament verabschiedet wurde. Die Umsetzung des Verstaatlichungsgesetzes erfolgte durch das neue Kabinett am 1. Mai 1951. Mossadegh entsandte eine Delegation, die die Kontrolle der größten Ölraffinerie der AIOC (Anglo Iranian Oil Compagny) übernahm. Schon 1953 waren der MI6 und CIA von ihren Regierungen ermächtigt einen Putsch gegen Mossadeghs Regierung durchzuführen. Der unter dem Titel Operation Ajax geplante Putsch verlief in zwei Etappen, einer gescheiterten am15. August 1953 und einer „erfolgreichen“ vier Tage später.

Ex Mediis

Helga Baumgarten: Kampf um Palästina – Was wollen Hamas und Fatah? Herder Verlag Freiburg 2013. (Ludwig Watzal)

Asef Bayat: Leben als Politik. Wie ganz normale leute den Nahen Osten verändern. Assoziation A. Berlin, Hamburg 2012 (Juliane Schumacher)

Barry Rubin/Wolfgang G. Schwanitz; Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East, Yale University Press, New Haven 2014. (Ludwig Watzal)