+49 (0)30 / 864 218 45 redaktion@inamo.de

ÄGYPTEN

Die Institutionalisierung der Revolution: Regimewandel in Ägypten

Von Holger Albrecht

Es gehört zu den Eigenarten der ägyptischen Revolution, dass eine Demokratiebewegung, die wochenlang für den Sturz des Mubarak-Regimes auf die Straße gegangen ist, die Machtübernahme durch eine Militärjunta begrüßt hat. Dies liegt zum einen daran, dass das ägyptische Militär in der Bevölkerung einen weitaus besseren Ruf genießt, als der interne Sicherheitsapparat Zum anderen hat die Euphorie über den Rücktritt Hosni Mubaraks die Erkenntnis überdeckt, dass das Militär Teil des ancien régime war und die Machtübernahme durch eine junta keinen Automatismus für eine demokratische Transition in sich birgt. Bestärkt durch das Bekenntnis der Generäle zur Demokratie hofft die Demokratiebewegung auf die Institutionalisierung eines demokratischen Wandels und damit auf eine lediglich vorrübergehende Machtübernahme durch die Militärs.

 

Das jähe Ende von Mubaraks Crony Capitalists: Ägyptische Großunternehmer und die Revolution

Von Torsten Matzke

Noch bevor Hosni Mubarak selbst der Revolution vom 25. Januar 2011 zum Opfer fiel, präsentierte er die im Volk verhassten Crony Capitalists als Sündenböcke. Innerhalb weniger Wochen verloren schwerreiche Großunternehmer, Vertreter der „neuen Garde“ innerhalb der NDP, ihre Regierungs- und Parteiämter und landeten schließlich im Gefängnis. Ihr plötzlicher Sturz kann damit erklärt werden, dass sie persönlich von Mubarak abhängig waren; im entscheidenden Moment hatten sie weder alternative Unterstützer noch Organisationsmacht. Demgegenüber nutzen politisch unbefleckte und oppositionelle Unternehmer die entstandene Lücke, um sich für die Zeit nach der Revolution zu positionieren. Allerdings steht das nun herrschende ägyptische Militär dem Privatsektor skeptisch gegenüber. Es ist zu erwarten, dass die Militärs für eine stärkere wirtschaftliche Rolle des Staates sowie den Schutz des eigenen Wirtschaftsimperiums eintreten werden.

 

 

Das Referendum

Bei dem Referendum, dem 77,2 % der Ägypter zustimmten, wurde über insgesamt 11 Verfassungsänderungen abgestimmt. Danach wurde die bislang unbegrenzte Amtszeit des Präsidenten auf zwei mal 4 Jahre verkürzt. Außerdem wird der Präsident zur Ernennung eines Stellvertreters verpflichtet. Waren in der alten Verfassung die Bedingungen für eine Präsidentschaftskandidatur so eng definiert, dass eigentlich nur ein Kandidat der ehemals regierenden NDP überhaupt eine Chance gehabt hätte, wurden diese erleichtert. So muss jetzt ein Kandidat – um seine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen – die Unterschriften von 30.000 Anhängern aus mindestens 10 Provinzen vorlegen oder von mindestens 30 Parlamentsabgeordneten oder einer im Parlament vertretenden Parteien unterstützt werden. Auf Kritik fiel die Bestimmung, dass potentielle Kandidaten väterlicher- und mütterlicherseits ägyptischer Abstimmung sein müssen, keine Doppelstaatsangehörigkeit besitzen und nicht mit einer Ausländerin verheiratet sein dürfen. Dadurch sind einige Persönlichkeiten, die zuvor Interesse an einer Kandidatur geäußert hatten, wie der unter der Jugend beliebte Nobelpreisträger für Chemie, Ahmad Zuwail, der neben der ägyptischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt und mit einer Syrerin verheiratet ist, von einer Kandidatur ausgeschlossen.

Die Wahlaufsicht sowohl der Parlaments- wie der Präsidentschaftswahlen wurde der Richterschaft unterstellt, nachdem diese erst 2007 durch das Regime abgeschafft worden war. Die letzten im November 2010 durchgeführten Wahlen wurden durch eine Wahlkommission geleitet, die faktisch alle Kompetenzen an das Innenministerium abgegeben hatte – die Voraussetzung für massive Wahlfälschungen zugunsten der Regierungsparteien. Die Verhängung des Ausnahmezustandes wird erschwert und die Möglichkeit zur Verabschiedung eines Anti-Terrorismusgesetzes wurde ganz aus der Verfassung gestrichen. In einem neu der Verfassung zugefügten Artikel 189 wird das nächste Parlament außerdem zu der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung verpflichtet, die eine völlig neue Verfassung erarbeiten soll. Erst dann werden ideologisch umstrittene Fragen, wie die Identität des Staates, Fragen des Wahlrechtes oder die Alternative parlamentarische Demokratie oder Präsidialsystem auf die Tagesordnung kommen.

Der Militärrat hatte in einer ersten Verfassungserklärung vom 13. Februar, zwei Tage nach seiner Machtübernahme, die Änderung der Verfassung angekündigt und Neuwahlen in spätestens sechs Monaten angekündigt, um die Macht an eine zivile Regierung abgegeben zu können. Zu diesem Zweck hatte er eine Verfassungskommission eingesetzt.

Liberale und linke Parteien lehnten die Verfassungsänderungen ab. Sie forderten stattdessen die sofortige Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung. In der Übergangszeit von eineinhalb bis zwei Jahren sollte der Militärrat durch einen dreiköpfigen Präsidialrat aus dem Vorsitzenden des Obersten Militärrates, Verteidigungsminister Tantawi, und zwei zivilen Persönlichkeiten ersetzt werden. Bei frühen Wahlen hätten neue Parteien, die aus der revolutionären Jugendbewegung entstanden sind, geringere Chancen gewählt zu werden. Davon würden allein die gut organisierte Muslimbruderschaft und die Rest-NDP profitieren. Auch kritisieren sie, dass durch das Referendum das Präsidialsystem und der islamische Charakter des Staats festgeschrieben würden. Artikel 2 der ägyptischen Verfassung erklärt die islamische Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung.

Unterstützt wurde die Verfassungsänderung durch die Muslimbruderschaft, die fundamentalistischen Salafi-Bewegung, die Rest-NDP und einigen Menschenrechtsaktivisten, wobei die Motive sehr unterschiedlich waren.

Die Muslimbrüder fordern, dass die Macht so schnell wie möglich an Zivilisten übergeben wird, um den Prozess der Revolution zu stabilisieren. Die Muslimbrüder schlagen eine Einheitsliste aller revolutionären Kräfte vor. Sie selber würden höchstens für ein Drittel aller Parlamentssitze Kandidaten aufstellen, erklärten sie. Sie befürchten, dass eine frühe Diskussion über eine neue Verfassung, die ja auch innerhalb der revolutionären Bewegung umstrittene Fragen, wie das Quorum für Arbeiter und Bauern oder die Rolle der Scharia, die revolutionären Kräfte spalten könnte, bevor die Ziele der Revolution – wie die Auflösung der Seilschaften des alten Regimes, die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtverletzungen und der demokratische Aufbau – erreicht sind.

Unnötig ideologisiert wurde das Referendum durch die Salafibewegung, die das „Ja“ zur Verfassungsänderung zu einer Volksbefragung zur islamischen Scharia stilisierte – obwohl es darum bei dem Referendum gar nicht ging. Die Salafis, die in ihrer Mehrheit bis zuletzt dem Mubarak-Regime mit der Begründung, die Unterordnung unter einen muslimischen Herrscher sei eine religiöse Pflicht, die Stange hielten, führen seit dem Abtritt des Mubarak-Regime eine landesweite Kampagne zur Verteidigung der Scharia – ein Ablenkungsmanöver von den Zielen der Revolution wie die Muslimbrüder und andere Oppositionelle kritisieren. Diese Kampagne hat andererseits viele Christen und Säkularisten dazu bewogen, die Verfassungsänderung abzulehnen, als wäre ein „Nein“ gleichbedeutend mit einem Plädoyer für einen säkularen Staat. (Ivesa Lübben)

 

BAHRAIN

Abriss oder Renovierung? Opposition in Bahrain

Von Sabine Damir-Geilsdorf

In Bahrain, wo bereits seit Mitte Februar demonstriert wird, ist die Lage eskaliert. Spätestens seitdem König Hamad bin Isa Al Khalifa eine Eingreiftruppe vom Golfkooperationsrats anforderte, die am 14.03. mit etwa 1500 vor allem saudischen Soldaten und Panzern einmarschierte. Mit ihrer Rückendeckung trieben bahrainische Sicherheitskräfte am 16.03. die Demonstranten auf dem Perlen-Platz in Manama brutal auseinander. Bisher wurden mindestens 11 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Dutzende wurden inhaftiert, darunter auch Ibrahim Sharif al-Sayyid, der Generalsekretär der politisch links stehenden Partei „Nationale Demokratische Aktion“ und Ali Al-Ikry, ein Arzt vom nahegelegenen Salmaniya-Krankenhaus, der den Verletzten medizinische Hilfe leistete. Nach Angaben der Opposition auf der gestrigen Pressekonferenz (20.03.) wurden fast 100 Personen entführt. Sicherheitskräfte besetzten das Salmaniya-Krankenhaus und blockierten die Zugänge.

 

 

IRAK

Auch im Irak wächst eine Protestbewegung – Gewerkschaften sind eine wesentliche Säule

Von Joachim Guilliard

Berichte über Proteste und Aufstände in den arabischen Ländern machen nach wie vor Schlagzeilen. Auch westliche Politiker und Medien wurden mittlerweile der üblen Repression der verbündeten Regime von Tunesien bis Bahrain gewahr. Ein Land bleibt jedoch weitgehend ausgeblendet: der Irak. Nachdem im vergangenen Jahr nach neuem Urnengang schließlich auch eine neue Regierung zustande kam, scheint allen das Land auf dem besten Weg zu sein. Als neue Demokratie sei der Irak mit den unruhigen anderen Ländern der Region nicht zu vergleichen, meinen auch etliche Kommentatoren.

Es sei naiv zu glauben, man müsse nur Wahlen abhalten, und schon bekomme man Demokratie, stellte hingegen der britische Premier David Cameron auf der diesjährigen Münchner »Sicherheitskonferenz« in einem Anflug von Weitsicht fest. Er sprach jedoch nicht über Irak oder Afghanistan, sondern über Ägypten, wo voreilige Wahlen die falschen Ergebnisse brächten.

 

 

JEMEN

…ein letzter Tanz auf den Köpfen der Schlangen?  Das Machtungleichgewicht im jemenitischen Patronagenetzwerk

Von Mareike Transfeld

Es wurden schon viele Vergleiche angestellt, um die Präsidentenrolle Ali Abdullah Salehs im Jemen zu verdeutlichen. Barbara Bodin, ehemalige US-Botschafterin im Jemen, beschrieb ihn am 4. Januar 2010 in einem Interview auf Al-Jazeera als „Tellerjongleur“. Saleh versuche alle Teller – die Stämme, den sezessionistischen Süden, die Oppositionsparteien und selbst al-Qaida – bei ungefähr gleicher Geschwindigkeit zu jonglieren, immer darum bemüht keinen fallen zu lassen. Ali Abdullah Saleh selbst vergleicht seine Regierungsführung mit einem Tanz auf Schlangenköpfen, denn immer wieder werden die oben genannten Kräfte zu ernsten Bedrohungen seiner Herrschaft. Er tanzt seit 32 Jahren auf den Köpfen dieser Schlangen, spielt Akteure gegeneinander aus, beschwichtigt sie und gleicht immer wieder die unterschiedlichen Interessen aus, um sich nach innen und nach außen hin zu legitimieren.

 

 

LIBYEN

Omar Mukhtar

Von Jörg Tiedjen

Omar Mukhtar wurde am 16. September 1931von der italienischen Kolonialmacht in einem Schauprozess vor einem Militärgericht als Aufrührer und Verräter abgeurteilt und zur Abschreckung vor den Augen von Tausenden gefangener Libyer erhängt. Die Zeitungen brachten die Nachrichten aus Rom, dass die Rebellion in Libyen mit dem Tod ihres Anführers Omar Mukhtars zerschlagen und die nordafrikanische Kolonie endlich befriedet sei. 

 

 

Libyen auf Messers Schneide

Von Nicolas Pelham

Das Regime des Obersten Qaddhafi war noch grauenvoller als das der Diktatoren in den Nachbarländern und daher löste die Befreiung des Libyschen Volkes aus seiner Gefangenschaft durch den Aufstand vom 17. Februar beispiellose Hoffnungen aus. Von dem Verbot öffentlicher Versammlungen von vier oder mehr Personen befreit, waren die von Rebellen gehaltenen Städte in ganz Libyen bis spät in die Nacht voll mit jubelnden Menschenmassen. Benghazi, Libyens zweitgrößte Stadt, der der Oberst ihre Museen, Kinos und kulturellen Symbole, wie das Mausoleum des Helden des antikolonialitischen Befreiungskampfes Umar al-Mukhtar, genommen hatte, war erfüllt von spontanen Gedenkveranstaltungen für Qaddhafis Opfer, politischem Theater, Liedern und Kunst sowie Massengebeten unter freiem Himmel. Und nach vier Jahrzehnten, in denen ein Mann das Recht an sich gerissen hatte, für ein ganzes Land zu sprechen, fanden die Libyer zu Hunderten und Tausenden ihre Stimme wieder. „Dein Platz, Muammar,“ schreiben Demonstranten auf umgestürzte Mülltonnen.

 


Über Prinzipien und Risiken

Das MERIP-Team wägt Prinzipien und Risiken einer Intervention ab und kommt zu dem Schluss, dass der Westen es sich mit Krieg schon immer leichter getan hat, als Frieden in Konfliktzonen zu bringen. Allerdings vermisst man eine klare Aussage zum konkreten Fall, zu Libyen: für oder gegen Intervention.

 


Libysche Entwicklungen

Von Gilbert Achcar

Gilbert Achcar´s Ja für eine militärische Intervention gilt dem Schutz des Lebens Unschuldiger. Außerdem sei die Flugverbotszone eine Forderung der Aufständischen gewesen. Dass die im folgenden Interview geäußerten Thesen innerhalb der Linken heftig diskutiert werden würde, war zu erwarten. Deshalb präzisierte Achcar in einer weiteren Stellungnahme seine Thesen: Dass in Ruanda eine Intervention notwendig gewesen wäre, würde ja auch niemand bezweifeln und zu was Regime fähig sind, wenn man ihnen nicht in den Arm fällt, hätte man am Beispiel von Hama (Syrien) gesehen, dort gab es 1982 mehr als 15000 Tote. Greife man nicht ein, müsse man eventuell ein Ölembargo verhängen, was zur Steigerung der Ölpreise führen würde mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft. Aber Achcar gibt auch zu, dass die Antwort des Westens nach Öl schmeckt und das die „Resolution nicht sehr gut gegen eine Verwendung zu imperialistischen Zwecken abgesichert ist“.

 

 

Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet

Von Andreas Buro/Clemens Ronnefeldt

Die beiden Autoren sehen die Resolution des UN-SR 1973 vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskussionen über die internationale Verantwortung zum Schutz akut bedrohter Zivilbevölkerungen durch Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein wesentliche Rolle spielte bei den Diskussionen der NATO-Einsatz im Kosovo/Jugoslawienkrieg, der weithin als gescheitert angesehen wird. Von dem damaligen UN-Generalsekretär wurde eine Kommission eingerichtet, die machtpolitische Instrumentalisierungen des Begriffs „humanitäre Intervention“ verhindert sollten. Das Ergebnis war der neue Leitbegriff „Responsibility to Protect“. Aber auch jetzt wird eine humanitäre Krise konstatiert, bei der die NATO interveniert. Der Völkerrechtler Reinhard Merkel stützt sich auf die Genfer Konvention (1977) und die Entscheidung des IGH von 1986 und meint: „Diese Normen statuieren ein striktes Verbot des militärischen Eingreifens in Bürgerkriege auf fremdem Territorium“.

 

 

„Morgendämmerung der Odyssee“ oder „Trojanisches Pferd“?

Von Djamel Labidi

Der Autor betrachtet den Konflikt aus dem Blickwinkel eines Nordafrikaners und registriert das französische Bombardement im kolonialen Kontext: Das erste Mal seit dem algerischen Befreiungskrieg hätte die französische Armee in Nordafrika wieder bombardiert. Er sieht durchaus die guten Absichten der Aufständischen, aber ist der Auffassung, dass wenn man sich auf ausländische Armeen verlässt, diese guten Absichten nur den Weg zur Hölle pflastern würden. Er bezweifelt, dass man eine demokratische Revolution verteidigen kann, indem man fremden Truppen die Ziele weist, die sie im eigenen Land zerstören sollen.

 

 

Bomben für die Menschenrechte?

Rony Brauman, französischer Arzt, 1950 in Jerusalem geboren, war lange Zeit Mitglied von Ärzte ohne Grenzen. Er ist Co-Produzent mit dem israelischen Regisseur Eyal Sivan (Jaffa, The Orange´s Clockwork)  bei dem Dokumentarfilm „Der Prozess gegen Adolf Eichmann“ (1999). Am 1.4.2011 wurde er von Daniel Mermet in „France inter“ über die Militärintervention in Libyen und das Recht oder Unrecht, sich einzumischen, interviewt. Brauman ist vehementer Gegner der Militärintervention. Aber er kritisiert auch die Aufständischen, weil sie auf die „vermeintliche ausländische Protektion“ vertrauen, die sie auch ihren Sieg kosten kann, wenn sie sich so sicher fühlen, dass „sie nicht auf ihre eigenen Kräfte vertrauen.“

 

 

SUDAN

Der neue Nordsudan – kommt nach der Landesspaltung der Volksaufstand?
Von Roman Deckert und Tobias Simon 

Wenige Tage nach Beginn des Volksaufstandes in Ägypten Ende Januar 2011 kam es auch in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zu Straßenprotesten. Der „Hinterhof“ Ägyptens befindet sich ohnehin in einer Phase des radikalen Umbruchs. Denn zu Beginn des Monats hatte die Bevölkerung des Südsudans in einem historischen Referendum mit 98,83 % für die Abspaltung vom arabisch-geprägten Norden gestimmt. Mit der Unabhängigkeit des Südens im Juli 2011 wird auch der Nordsudan ein neuer Staat. Auch wenn die Demonstrationen in Khartum bald verstummten, zeigen sich viele Parallelen zu Ägypten und Tunesien. Es stellt sich also die Frage, ob Präsident Omar Al Bashir nach bald 22 Jahren an der Macht stürzen könnte:

 

 

SYRIEN

Asads verpasste Gelegenheiten

Von Carsten Wieland

Syrien, so wie es viele Jahrzehnte lang gekannt wurde, gibt es seit dem 11. März nicht mehr, gleich, wie die aktuellen Erhebungen ausgehen werden. Die Proteste haben die Fundamente des Baath-Regimes unter Bashar al-Asad und seiner heiklen Struktur expliziter und impliziter Regeln erschüttert. Für syrische Standards wurden tektonische politische Zugeständnisse von Regierungsvertretern versprochen, wie sie Jahre zivilgesellschaftlicher Aktivitäten nicht erreichen konnten. Auch wenn Reformen erneut nur leere Versprechungen bleiben, so wie es nach Asads enttäuschender Rede im Parlament am 30. März aussieht, so hat die legendäre Furcht vor dem Sicherheitsstaat Ausbrüchen von Wut und Hoffnung Platz gemacht. Möglicherweise werden bald Sorgen vor konfessionellen Zusammenstößen, dem Begleichen offener Rechnungen zwischen verschiedenen Gruppen und einfach der Angst vor krimineller Energie die Straßen erfüllen.

 

 

TUNESIEN

Tunesien: Die Demokratie nimmt Gestalt an.

Von Werner Ruf

Alles deutet darauf hin, dass das politische Bewusstsein und die Wachsamkeit der tunesischen Bevölkerung einen Rückfall in die Diktatur ebenso wenig dulden werden wie die Weißwaschung der  Vertreter des gestürzten Regimes. Hatte doch die alte Clique von Ben Ali versucht, ihre Hände weiter im Spiel zu halten: Mohamed Ghannouchi, als letzter Ministerpräsident Ben Alis elf Jahre im Amt, leitete weiterhin die „Übergangsregierung“, weitere wichtige Ministerien, darunter das Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium waren zunächst weiterhin in den Händen von Vertretern des ancien régime verblieben. Genau diese Kontinuität wollte aber das Volk nicht.

 

 

KULTUR

Cinema Jenin und kein Frieden

Von Irit Neidhardt

In der inamo vom Herbst 2010 ist der Artikel “Palästina neu erfinden: Das Friedenskino von Jenin” erschienen, der die Eröffnung des Cinema Jenin kritisch analysiert und den Friedensbegriff, der dem Projekt zugrunde liegt hinterfragt.
Seit seiner Eröffnung ist das Cinema Jenin mit finanziellen Schwierigkeiten sowie mit Akzeptanzproblemen in der palästinensischen Gesellschaft konfrontiert. Ursprünglich sollte es nach Ende der Renovierungsarbeiten an ein Team von lokalen Mitarbeiter/inne/n übergeben werden und ein Beirat aus ortsansässigen Honoratioren sowie internationalen und palästinensischen Filmschaffenden gebildet werden. Obwohl es offiziell eine bi-nationale Initiative ist, steht das Cinema Jenin bis heute unter deutscher Federführung. Irit Neidhardt untersucht einige Aspekte der Finanzierungsstruktur des Cinema Jenin und hinterfragt inwieweit die Reduzierung deutschen Einflusses in dem Projekt möglich ist.

 

 

WIRTSCHAFTSKOMMENTAR

Irak: Mangelversorgung trotz Ölreichtum

Von Joachim Guilliard

 


ZEITENSPRUNG

„Wir träumen von Freiheit“

Seit die ehemals syrischen Golanhöhen im Sechstagekrieg 1967 besetzt wurden, widersetzt sich die arabische Bevölkerung der israelischen Kontrolle. Adri Nieuwhof, Mitarbeiter bei The Elektronic Intifada, hat mit Taiseer Maray, Direktor der gemeinnützigen Organisation “Golan for Development”, über die Situation in den Golanhöhen 44 Jahre nach der Besetzung gesprochen.

 

ex mediis        

Abdullah Öcalan: Verteidigungsschriften – Jenseits von Staat, Macht und Gewalt            (Werner Ruf)

Holger Albrecht (Hg.): Contentious Politics in the Middle East. Political Opposition under Authoritarianism (Thomas Demmelhuber)

Christopher A. Preble: The Power Problem. How American Military Dominance makes us less safe, less prosperous, and less free (Malcolm Sylvers)

David Hirst: Beware of Small States. Lebanon, Battleground of the Middle East: Lebanon, Israel and Hizbullah (Malcolm Sylvers)

Race & Class: “Foreign Prisoners” in Europe (Dagmar Schatz)

Moshe Zuckermann: “Antisemit” – Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument (Tamar Amar-Dahl)