+49 (0)30 / 864 218 45 redaktion@inamo.de

GASTKOMMENTAR

Islam-Bashing: Nur eine Mode oder Mobilisierung von rechts?
Von Werner Ruf

 


PAKISTAN – Viele Fronten

 

Wegmarken einer turbulenten Geschichte
Von Jorge Scholz

Lässt man die Geschichte Südasiens seit dem Untergang des Britischen Kolonialreichs vor 61 Jahren Revue passieren, so scheint es beinahe, als würde sich auf dem Subkontinent von Epoche zu Epoche, von Staat zu Staat eine Art Spaltungs-Virus verbreiten: 1947 die Teilung Indiens, 1971 die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan – und irgendwann die erneute Teilung Pakistans? Tatsächlich bedrohen auch heute erhebliche Fliehkräfte, die von den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in den paschtunischen Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze, den separatistischen Tendenzen in der Provinz Balutschistan, der ungelösten Kaschmirfrage und der anhaltenden Terrorwelle militanter Islamisten ausgehen, die Existenz der Islamischen Republik. Sucht man nach den Gründen dieser Instabilität stößt man rasch auf die Traumata der pakistanischen Gründungsgeschichte, die eine schwere Hypothek darstellen und dieses äußerst fragile staatliche Gebilde bis in die Gegenwart einer permanenten Zerreißprobe aussetzen.

 

Teilung des Landes – die Gründung von Bangladesch
Von Tariq Ali

Es war im Prinzip absehbar, dass es schwierig sein würde, zwei derart verschiedene Landesteile – Ost- und Westpakistan – auf Dauer über eine so große Entfernung hinweg zusammenhalten zu können. Schon unter General Ayyub Khan, der 1960 Präsident wurde und 1969 kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, die Macht an General Yahya Khan übergab, wurde das Ende der Autonomieträume für Ostbengalen eingeläutet. Nach dem Erdrutschsieg der Awami-League bei den Wahlen 1970 war klar, dass das Militär eine Teilung der Macht boykottieren würde. Der Bruch wurde unvermeidlich, Bengalen stellte die Zusammenarbeit mit Westpakistan, also dem Zentralstaat, ein. Es kam 1971 zum blutigen Bürgerkrieg und zur Spaltung des Landes.

 

Hüter und Herr der Nation: die Armee
Von Jorge Scholz

Bei einer so facettenreich und fragmentierten Gesellschaft wie der pakistanischen erscheint ein föderativ geordneter und demokratischer Staat, wie es Pakistan auf dem Papier seiner Verfassung auch ist, als die einzig denkbare politische Ordnung. Nur so lassen sich die zahlreichen und oft gegensätzlichen Interessen der verschiedenen Regionen, Bevölkerungsgruppen, sozialen Schichten und Machteliten auspegeln, ohne dass auf Dauer der Staat selbst in Frage gestellt wird und der vorhandene Rahmen unter dem Druck der sich im Inneren aufstauenden ungelösten Konflikte zerbricht. Wie aber bereits angedeutet, prägen das politische System Pakistans nicht nur föderative und dezentrale Elemente, sondern auch stark zentralistische und autoritäre Strukturen. Verkörpert, gestaltet und kontrolliert wird diese hierarchisch ausgerichtete Machtachse im Staatsapparat vor allem durch die Armee. Grund genug, sich näher mit deren Rolle im heutigen Pakistan zu befassen.

 

Kann Asif Zardari Pakistan retten?
Von Dietrich Reetz

Nach einem langen krisengeschüttelten Jahr und angesichts der anhaltenden Krise in den Beziehungen mit seinen Nachbarn Afghanistan und Indien bemüht sich die pakistanische Regierung verstärkt um eine Beruhigung der Lage. Dies ist das erklärte Ziel des pragmatischen Konsolidierungs- und Reformkurses der neuen Koalitionsregierung unter der Führung der Pakistanischen Volkspartei (PPP – Pakistan People’s Party), die von Yusuf Raza Gilani geleitet wird. Doch der starke Mann ist Asif Ali Zardari, Witwer Benazir Bhuttos. Er wurde am 6. September 2008 zum neuen Präsidenten gewählt und löste damit den langjährigen Militärmachthaber General Musharraf ab. Der wiederum hatte 1999 in einem Putsch den damaligen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif von der Pakistanischen Muslim-Liga abgelöst.

 

Die Richterbewegung in Pakistan – Wieviel gewonnen oder wieviel verloren?
Von Nusrat Sheikh

Wie konnte es geschehen, dass eine Justiz, die bisher in der Geschichte Pakistans selbst eine Komplizin des Militärs gewesen ist, stets seine subversiven Interventionen legitimierte und zudem auch noch den internationalen Ruf einer korrupten und ineffektiven Institution hat (siehe Transparency International Press Release, Karachi, 26. September 2007), sich wider Erwarten gegen die geradezu traditionelle Einmischung des Militärs in die Regierung aufgelehnt hat? Die Hälfte der Zeit seines Bestehens wurde Pakistan von Militärdiktaturen regiert. Drei von vier der bisherigen Militärputsche wurden von der Judikative aufgrund der sogenannten ‚doctrine of necessity‘ legitimiert (Ayub Khan 58‘, Zia-ul-Haq 77‘, Pervez Musharraf 99‘). Diese Doktrin wurde erstmals in einem Präzedenzfall von 1955 entwickelt, als das damalige Staatsoberhaupt einer wohlgemerkt zivilen Regierung, die Legislative – angeblich zur Sicherung der „politischen Stabilität“ – verfassungswidrig auflöste.

 

Die Außen- und Atompolitik Pakistans
Von Christian Wagner

Seit der Unabhängigkeit 1947 bestimmen das Verhältnis zu Indien und der Konflikt um Kaschmir die Außenpolitik Pakistans. Beide Staaten haben seitdem vier Kriege gegeneinander geführt (1947/48, 1965, 1971, 1999) und die Kaschmirfrage war Auslöser für zahllose bilaterale Krisen. Der Konflikt hatte aber auch weit reichende nationale, regionale und internationale Folgen für Pakistan. Innenpolitisch förderte er die Vorherrschaft der Streitkräfte, die seit dem ersten Putsch General Ayub Khans 1958 die innen- und außenpolitischen Entwicklungen prägen. Im regionalen Kontext war die Unterstützung der Taliban in den neunziger Jahren von der Vorstellung geleitet, durch eine Kontrolle Afghanistans „strategische Tiefe“ gegenüber Indien zu erlangen. International führte der Konflikt mit Indien seit den 1950er und 1960er Jahren zu guten Beziehungen mit den USA und China. Das Atomprogramm erfolgte in Reaktion auf die Niederlage und Teilung des Landes 1971. Pakistan nutzte es auch, um seinen Führungsanspruch in der muslimischen Welt zu bekräftigen.

 

Die Bhutto-Saga: Aufstieg und Fall einer Dynastie
Von Jorge Scholz

Die Geschichte des Bhutto-Clans ist die Geschichte einer Familie, die seit Generationen von Macht, Gewalt und Tod markiert wird, vergleichbar nur mit den Kennedys in den USA oder der Nehru-Gandhi-Dynastie in Indien. Der Vater, der frühere Premierminister und Präsident Zulfikar Ali Bhutto, wurde 1979 zwei Jahre nach seiner Entmachtung durch die Militärs gehängt. Sein erster Sohn, Shahnawaz Bhutto, wurde 1985 unter mysteriösen Umständen im französischen Cannes in einem Hotel vergiftet. Sein zweiter Sohn, Murtaza Bhutto, wurde 1996 in Karatschi von einem Polizeikommando erschossen. Seine älteste Tochter, die zweifache Premierministerin Benazir Bhutto, wurde am 27. Dezember 2007 nach einer Wahlkampfveranstaltung in Rawalpindi bei Islamabad durch ein Selbstmordattentat ermordet. Und sein einziger Enkel, der 19jährige Bilawal Bhutto, wurde nach dem Tod seiner Mutter zum Vorsitzenden der größten pakistanischen Partei, der PPP, bestimmt, um eines Tages das von Großvater und Mutter hinterlassene politische Erbe anzutreten und die Saga der Bhuttos an der Staatsspitze Pakistans fortzuspinnen.

 

Politischen Partizipation von Frauen– Ein Kampf an vielen Fronten
Von Susanne Thiel

Pakistanische Frauen, die ihre ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechte wahrnehmen wollen, die am politischen Leben teilhaben möchten, oder sogar aktiv für die Rechte anderer eintreten, sehen sich vielen Gegnern gegenüber. Einer dieser Gegner kommt in Gestalt der unterschiedlichen sozialen Klassen daher, die tiefe Gräben durch die Gesellschaft ziehen. Er kann sich aber auch in Traditionen, Gewohnheiten und Stammesgesetzen manifestieren und die Frauen in Form von häuslicher Gewalt und Verbrechen im Namen der Ehre treffen. Er kann auch einer der zahlreichen Diktatoren in der Geschichte Pakistans sein, der jegliches Aufbegehren demokratischer Kräfte unterdrückt. Für viele männliche Politiker sind Frauenrechte nur eine Karte im politischen Spiel; und das Blatt kann sich schnell wenden. Und nicht zu vergessen, die zunehmende Erstarkung islamistischer Gruppierungen und religiöser Extremisten.

 

Der Kaschmir-Konflikt
Von Matin Baraki

Der Kosovo-Konflikt scheint gelöst, eine Reihe von Staaten hat das Land allerdings nicht anerkannt; beim Nahostkonflikt wartet man immer noch auf das „Einbekenntnis einer historischen Hauptverantwortung für die Schaffung der Flüchtlingstragödie 1948“ (John Bunzl) als Voraussetzung für einen echten Frieden. Die Konflikte in Transkaukasien und in Südasien sind noch weit von einer Lösung entfernt, insbesondere der Kaschmir-Konflikt wird uns noch eine Weile beschäftigen. Diese als Hauptkonfliktfelder des 21. Jh. zu bezeichnen, ist sicher nicht übertrieben. Deswegen ist es eine notwendige Aufgabe von Wissenschaft und Publizistik, sich – unter Berücksichtigung der unmittelbar an diesem Konflikt beteiligten und seit Mai 1998 zu Atommächten aufgestiegenen Länder Pakistan und Indien – ernsthaft mit der ungelösten Kaschmirfrage zu befassen. In diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, die Grundzüge des Kaschmir-Konfliktes zu thematisieren. Zum Schluss werden einige Thesen für eine mögliche Lösung des Konfliktes zur Diskussion gestellt.

 

Mit Taliban reden – oder sie bombardieren? – Die Taliban-Frage ist längst ein Regionalproblem
Von Thomas Ruttig

In die Diskussion über mögliche Gespräche mit den Taliban ist wieder Bewegung gekommen. Es begann in Mekka, Ende September. Am Ende des Fastenmonats Ramadan hatte das saudische Königshaus Abgesandte verschiedener afghanischer Gruppierungen zum Fastenbrechen eingeladen. Neben einer offiziellen Delegation aus Kabul, zu der Parlamentarier, der Vorsitzende des Rates der Geistlichkeit und frühere, inzwischen als ‚versöhnt‘ geltende Taliban gehörten, nahmen auch Vertreter zweier aufständischer Gruppen teil. Man habe Ansichten über Lösungsmöglichkeiten für Afghanistan ausgetauscht. Was genau besprochen wurde, blieb unbekannt. Um Verhandlungen handelte es sich aber (noch) nicht. Vereinbart wurde nach Angaben einiger Teilnehmer nur, die Kontakte fortzusetzen. Unklar bleibt bisher, wann und wo.

 

Pakistan in Berlin
Von Reinhard Fischer

„Lebt es sich leichter als Türke in Berlin oder als Pakistani in Bradford?“ So lautet der Titel einer Studie von Roger Boyes/Dorte Huneke, die die Deutsch-Britische Stiftung 2004 herausgegeben hat (www.agf.org.uk). Am Beispiel der größten Migrantengruppen in den beiden Städten behandelt Studie die Integrationspolitik in Großbritannien und Deutschland. In Berlin sind die Pakistaner, anders als in Bradford, nur eine kleine Gruppe. 1533 pakistanische Staatsbürger waren 2007 in der Hauptstadt gemeldet. In ganz Deutschland leben 35 000. Hinzu kommen etwa ebenso viele Menschen pakistanischer Herkunft, die eingebürgert oder Asylbewerber sind. Diese kleine Gemeinschaft hat viele Vereine und Organisationen gebildet.

 


ALLGEMEINER TEIL

 

20. März 2008: Der Tag, an dem die USA dem Iran den Krieg erklärten
Von John McGlynn

Der 20. März 2008 war ein weiterer Tag der Schande. An diesem Tag erklärten die USA dem Iran offiziell den Krieg. Aber es wird nicht jene Art von Krieg werden, die viele erwartet haben. Nein, es gab keine dramatische Fernsehansprache von Präsident George W. Bush aus dem Weißen Haus. Genau gesagt verbrachte Bush an diesem Tag, wie die Washington Post berichtet, einige Zeit damit, mit den Iranern direkt zu kommunizieren und ihnen via Radio Farda (die US-finanzierte Rundfunkstation, die in den Iran auf Farsi, der Landessprache, sendet) mitteilte, dass deren Regierung „erklärt hat, dass sie eine Atombombe will, um Menschen zu vernichten.“ Aber kein Grund zur Sorge, versicherte er seinen Zuhörern in Farsi-übersetztem Bush-Jargon: Teheran würde die Bombe nicht bekommen, weil die USA „standhaft“ sein würden.

 

Was war die nationale Befreiungsfront Algeriens (FLN) 1954-1962?
Von Gilbert Meynier

Die folgenden Zeilen sind der Versuch einer Definition der Nationalen Befreiungsfront FLN (Front de libération nationale algérien). Ihre Entstehung im Herbst 1954 ist nicht zu verstehen ohne ihre Vorgeschichte; diese kann in zwei Punkten zusammengefasst werden: 1. Disqualifikation der alten, französisch gebildeten Elite (Algerier mit französischer Bildung) aufgrund der starren Haltung der Kolonialmacht. Die sog. „évolués“ hatten erfolglos darauf gesetzt, dass die Algerier sich innerhalb Frankreichs assimilieren würden. 2. Ohnmacht und Krise der Partei der Unabhängigkeitsbewegung, der PPA-MTLD, nach der blutigen Unterdrückung des im Mai 1945 gescheiterten Aufstandes. Die Krise führte 1953-54 zur Spaltung der Partei: auf der einen Seite die hinter dem alten Führer Messali Hadj stehenden „Plebejer“, die sog. Messalisten, auf der anderen Seite die das Zentralkomitee beherrschenden Eliten der Partei, die sog. Zentralisten. Diese Spaltung trieb die Partei unaufhaltsam in einen Selbstzerstörungsprozess.

 

Nachruf auf Georges Adda
Von Kmar Bendana

 

Informationen über Georges Adda von Martina Sabra:
Georges Adda (geb. am 22. September 1916 in Tunis, gest. am 28. September 2008 in Tunis) stammte aus einer tunesisch-jüdischen Familie und war ein kommunistischer Aktivist der ersten Stunde. Von 1936 bis 1938 war er beigeordneter Generalsekretär der tunesischen kommunistischen Partei (PCT, heute Tajdid-Bewegung). 1943 wurde er ins Zentralkomitee der Partei gewählt, dem er bis 1957 angehörte. Darüber hinaus war Adda Chefredakteur der Parteizeitung „L’Avenir“. Während des tunesischen Unabhängigkeitskampfes wurde Adda mehrmals von der französischen Kolonialmacht verhaftet, interniert und deportiert (1935-1936, 1940-1942, 1952-1954). Als Nationalist, Gewerkschafter und Antizionist hat Georges Adda sich mit Appellen, und Briefen für Arbeiterrechte, die bürgerlichen Freiheiten in Tunesien und für die Befreiung Palästinas eingesetzt. „Man muss sich gegen die Instrumentalisierung der Millionen Opfer des Holocausts durch die Zionisten wehren“, schrieb Adda im Jahr 2006. „Frieden in Palästina wird es erst dann geben, wenn die vertriebene Bevölkerung aus aller Welt zurückkehren und ihr Eigentum wieder in Besitz nehmen kann. Ich bin fest überzeugt, dass dies geschehen wird – in zehn Jahren, in fünfzig Jahren, wer weiß. Und wenn das eine Utopie sein sollte, dann ziehe ich es vor, mit diesem Traum zu sterben.“

 

Wo eigentlich liegt Marokko? Wer rührt an die Grenzen Nordafrika?
Von Axel Goldau

Seit dem Frühjahr verhandelt die EU Kommission auf Antrag des Königreichs Marokko eine „privilegierte Partnerschaft [engl.: advanced status]“. Grundlage ist der 1995 in Gang gesetzte „Barcelona-Prozess“, wonach sich die EU verstärkt dem Mittelmeerraum zuwendet, einem Gebiet, das sich durch drei langanhaltende, zwischenstaatliche Konflikte auszeichnet: Den Konflikt zwischen Israel und Palästina sowie der Türkei und Zypern im Osten und dem zwischen Marokko und der Westsahara im Westen. Diese drei Konflikte werden von spezifischen Missionen der Vereinten Nationen begleitet. Es sind die drei längsten ihrer Geschichte.

 

Moderne Enterhaken – Piraterie in Südostasien
Von Rainer Werning

Die Aufteilung der Welt zwischen den rivalisierenden Seemächten Spanien und Portugal durch den Papst im Jahre 1494 beflügelte die Piraterie vor allem im insularen Südostasien. Ging es damals um Spezereien und koloniale Bastionen, steht heute die Sicherung der bedeutsamsten Tankerrouten gegen Hochseepiraterie und Terrorismus im Vordergrund – auch jenseits von Somalia. …Es war ein verwegener Akt grenzüberschreitender Piraterie und Geiselnahme, der vor acht Jahren die Gemüter erregte und das mediale Sommerloch füllte. Am Ostermontag, dem 23. April 2000, entführte eine Gruppe junger Filipinos 21 überwiegend aus Westeuropa stammende Touristen aus einem Urlaubsressort auf der ostmalaysischen Insel Sipadan. Mit ihren Schnellbooten foppten die Entführer sowohl die malaysische als auch die philippinische Küstenwache und schipperten ihre Geiseln durch die Sulu-See auf die Insel Jolo. Dort vergingen mehr als vier Monate, bis sämtliche Geiseln – darunter auch drei Mitglieder der Göttinger Familie Wallert – nach hoher Lösegeldzahlung wieder auf freien Fuß kamen. Bevor auch nur Näheres über den Tathergang bekannt war, waren die Täter bereits ausgemacht – „islamistische Terroristen”, „Moro-Sezessionisten”, „muslimische Piraten“ und „moslemische Rebellen”…

 

Erhöhte Gewaltbereitschaft auf See
Das International Maritime Bureau (IMB) in London, 1981 als eine Unterabteilung der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (ICC) gegründet, erfasst als Sondereinheit der auf internationale Kriminalitätsbekämpfung spezialisierten Commercial Crime Services (CCS) weltweit alle relevanten Daten über Piraterie und Verbrechen auf den Weltmeeren. Von 1990 bis 1992 bezeichnete das IMB die Seegebiete in den Straßen von Malakka und Singapur als gefährlichste maritime Zone. Die beiden Meerengen werden täglich von 150 bis 900 Schiffen aller Größen und Typen durchfahren. Sandbänke, Wracks und die engste Stelle der Malakkastraße zwingen Schiffe, langsam zu fahren. Damit werden sie zu einer leichten Beute. Mehr als die Hälfte aller Piratenüberfälle zwischen 1990 und 1992 ereignete sich in diesen Seegebieten. Zwischen 1993 und 1995 verlagerte sich der Schwerpunkt der Piratenaktivitäten in das Südchinesische Meer, die Territorialgewässer um Hongkong und Macau sowie das Dreieck zwischen Hongkong, Luzon (Nordphilippinen) und der Insel Hainan (China). Lloyds Register in London schätzt die Gesamtzahl der Piraten in chinesischen Gewässern auf 20.000. „Shipjacking“ mit dem Ziel, die Ladung eines entführten Schiffes illegal zu veräußern und anschließend das gekaperte Schiff mit neuen Ausweispapieren und unter neuer Flagge weiterhin einzusetzen, definiert das IMB als major criminal hijack (MCHJ), als größtes auf den Weltmeeren begangenes Verbrechen.

Eine Außenstelle des IMB ist das 1992 in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur eingerichtete Piracy Reporting Centre (PRC). Dieses ermöglicht Schiffseignern, Vorfälle jederzeit und von jedem Ort aus zu melden, es erteilt Warnungen, steht Schiffsbesatzungen bei Überfällen mit Rat zur Seite und koordiniert medizinische Hilfe sowie die Unterstützung der zuständigen lokalen Behörden. Überdies ermittelt das PRC wöchentlich Daten und Zahlen über Vorfälle von Piraterie, auf deren Grundlage das IMB sodann Quartals- und Jahresberichte erstellt und publiziert. Im vergangenen Jahrzehnt verdreifachte sich die Zahl von Piraterieüberfällen, wobei das IMB die unmittelbaren jährlichen Schäden an Schiffen und Fracht auf rund 200 Millionen Euro und die Gesamtsumme inklusive höherer Versicherungspolicen auf nahezu 16 Milliarden US-Dollar schätzt.

Mitte 2008 sind laut IMB-Direktor Captain Pottengal Mukundan die vier internationalen maritimen Hochrisikogebiete die Gewässer nahe der nigerianischen Hafenstadt Lagos, die Küste Somalias einschließlich des Golfs von Aden, Indien und Indonesien. Im vergangenen Jahr registrierte das IMB weltweit 263 Überfälle, 24 mehr als 2006. Überdies sind die Piraten besser bewaffnet als je zuvor und führen ihre Angriffe immer brutaler aus: 2007 wurden von den Freibeutern 35 Prozent mehr Schusswaffen als im Vorjahreszeitraum eingesetzt. 64 Seemänner wurden verletzt oder tätlich angegriffen, 2006 waren es 17. Genaue Statistiken gibt es dennoch nicht, da zahlreiche Reedereien Piratenübergriffe gar nicht erst melden. Sie fürchten entweder langwierige Untersuchungen, deren Kosten den angerichteten Schaden möglicherweise übersteigen, und eine drastische Erhöhung der Versicherungsprämien oder eine schlechte Publicity in den Medien.

 

Zwischen Antisemitismus und Islamophobie
Von Michael Ingber

Michael Ingber setzt sich mit den Thesen und Auffassungen der Autorinnen und Autoren des beim Verlag VSA, Hamburg 2008, von John Bunzl und Alexandra Senfft herausgegebenen Sammelbandes „Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost“, auseinander.

 


WIRTSCHAFTSKOMMENTAR

 

Peak Oil?: Ölversorgung und Akkumulation
Von D.T. Cochrane

Obwohl Höhepunkt und Rückgang der Ölförderung eine geologische Gewissheit sind, sollten wir infrage stellen, ob es tatsächlich genau jetzt soweit ist. Die Ölversorgung auf dem Weltmarkt hängt jenseits der geologischen Tatsachen der Förderung von vielen anderen Faktoren ab. Die Regierungen aller möglichen Länder – Iran, Saudi Arabien, Venezuela, die USA, Russland – spielen eine wichtige Rolle. Ihre wirtschaftlichen Akteure gehören zu den mächtigsten und profitabelsten Unternehmen der Welt. Was innerhalb dieses Marktes passiert, ist für jedes andere Unternehmen von Interesse. Die Spekulation grassiert. Bei einer Untersuchung der jüngsten Preisanstiege müssen diese und viele andere Faktoren berücksichtigt werden.

 


ZEITENSPRUNG

 

Das Massaker in Kafr Qasim
Von Jonathan Cook

Am 29. Oktober 1956 fand in dem Dorf Kafr Qasim ein Massaker statt: Eine Spezialeinheit der israelischen Grenzpolizei hatte dort 46 palästinensische Zivilisten, darunter Frauen und Kinder erschossen. Die arabischen Bewohner gedachten heute, nach 52 Jahren, zusammen mit einigen israelischen Unterstützern des Jahrestages. Man besuchte gemeinsam den Friedhof des Dorfes. Die lokalen Medien hatten aus diesem Anlass die Aussagen zweier früherer hochrangiger Polizeioffiziere veröffentlicht. Sie berichteten über die Ausgangssperre die kurzfristig dem Dorf auferlegt wurde und über den Befehl ihres Kommandanten, alle Dorfbewohner die diese missachten, zu erschießen. Die Offiziere sagten, dass, hätten sie den Befehl nicht verweigert, die Anzahl der Toten noch höher gewesen wäre.

 


EX LIBRIS

 

Johannes Zang, Unter der Oberfläche. Erlebtes aus Israel und Palästina. Berlin 2007. 15,- €. ISBN: 978-3-86575-004-4 (von Simone Britz)

Tahar Ben Jelloun: Verlassen. Roman, Paris 2006, Berlin 2006. (von Barbara Dietrich)

Avidan, Igal: Israel: Ein Staat sucht sich selbst. München: Diederichs 2008. 216 Seiten, ISBN 978-3-7205-3046-0. (von Sabine Schiffer)

Bahmad, Layla: Non-Governmental Organisations in Palestine. Last Resort of Humanitarian Aid or Stooges of Foreign Interests? Nomos Verlag Baden-Baden 2008, 291 S. Broschiert, 49,-€, ISBN 978-3-8329-3393-7 (von Ingrid El Masry)

Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation , Magda Seewald Hrsg.: Perspectives beyond war and crises? Donor Politics and gender orders in the Israeli-Palestinian Conflict. Wien Aug. 2008, 124 S. (von Werner Ruf)