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GASTKOMMENTAR

Bemerkungen zum Prozess Hecht-Galinski contra Broder

von Shraga Elam


ÄGYPTEN: „Kifaya“!

Marionetten oder Marionettenspieler? Großunternehmer und Manager

von Stephan Roll

Mitglieder der ägyptischen Wirtschaftselite wurden in der Vergangenheit immer als „Klienten“ der politischen Entscheidungsträger gesehen. Durch ihre Abhängigkeit von exklusiv erteilten Handelslizenzen, der öffentlichen Auftragsvergabe und der staatlich kontrollierten Kreditallokation waren sie stets auf die Gunst der politischen Führung angewiesen. Stephan Roll argumentiert, dass sich dieses Verhältnis in den vergangenen Jahren gewandelt hat. So hat sich im Zuge der 1991 begonnenen Wirtschaftsreformen eine wirtschaftliche Kernelite herausgebildet, deren Mitglieder direkt aber auch indirekt Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess in Ägypten nehmen. Durch die von ihnen kontrollierten Vermögenswerte, vor allem aber durch ihre steigende ökonomische Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, verfügen diese Großunternehmer und Finanzmanager über eine neue, strukturelle Macht im Herrschaftssystem des Landes.


Protestbewegung der Arbeiter, Neoliberalismus und der Kampf für Demokratie

von Joel Beinin

Seit 2004 haben wohl mehr als fünfhunderttausend ägyptische Arbeiter an Streiks, Fabrikbesetzungen, Demonstrationen und anderen Aktionen des Arbeitskampfes teilgenommen. Wie in der Vergangenheit hat sich die offizielle Gewerkschaft– al-Ittihad al-‘Amm li-Niqabat ‘Ummal Misr (der staatliche Allgemeine Ägyptische Gewerkschaftsverband) und seine 23 Niqabat ‘Amma (Branchenverbände) – als das übliche Hindernis für die Durchsetzung der Forderungen der Arbeiter erwiesen. Die Protestbewegung der Arbeiter hat Solidaritätsbekundungen von oppositionellen ägyptischen Intellektuellen und auch von internationalen Gewerkschaften und politischen Organisationen erhalten. Und sie hat Streiks, Streikdrohungen und andere Aktionen des Arbeitskampfes von Angestellten, Professoren, Medizinern und anderer Fachkräfte inspiriert. Dies ist die größte und lang anhaltendste soziale Bewegung in Ägypten seit der Kampagne zur Beendigung der britischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wird sowohl von einer sich intensivierenden Forderung nach Demokratie wie auch dem Durchsetzung einer neo-liberalen Agenda getragen, die eine neues Ägypten schafft, das weniger als 10 Prozent der Bevölkerung umfasst.


Der kleinste gemeinsame Nenner: „Kifaya“ (Es reicht!)

von Nora Kalbarczyk

Seit Ende des Jahres 2003 engagiert sich die „Ägyptische Bewegung für Veränderung“ (auchKifaya genannt) partei- und ideologieübergreifend für das Ende der Präsidentschaft Hosni Mubaraks, die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Demokratisierung des politischen Systems. Nach einigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen im ereignisreichen Jahr 2005, in dem das ägyptische Wahlvolk mehrmals an die Urnen gebeten wurde, wurde es wieder etwas stiller um Kifaya.Während Kritiker die Bewegung als ineffektiv, systemstützend und letztlich gescheitert bezeichnen, verweisen Kifaya-Aktivisten darauf, dass es ihnen gelungen sei, das politisch-gesellschaftliche Klima in Ägypten deutlich zu verändern, was sich z.B. an der starken Zunahme von Streiks und Demonstrationen ablesen lasse.


Justiz und Politik – Die Illusion einer elitären Demokratie

von Sherif Younis

Zwischen 2004 und 2006 ging die politische Opposition in Ägypten zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder auf die Straße. Obwohl diese Aktivitäten weder eine große Anzahl von Bürgern für sich gewinnen konnten, noch im Endeffekt eine reale Gefahr für das autoritäre Regime darstellten, wurden sie nicht wie bisher ignoriert: die staatlichen Medien sahen sich gezwungen, sich mit den oppositionellen Kräften auseinanderzusetzen, mitunter wurden sie als Verräter bezeichnet.

Angefangen hatte alles mit der zweiten Intifada, gefolgt von der amerikanisch-geführten Invasion in den Irak im März 2003. Was allerdings die Proteste in den Jahren 2005 und 2006 zu etwas Besonderem macht, ist die Tatsache, dass immer mehr innenpolitische Belange in den Vordergrund rückten – vor allem die Demokratiefrage. Ausschlaggebend waren vor allem die erstmals stattfindenden Präsidentschaftswahlen (vorher gab es nur Referenden mit: Ja oder Nein), die Parlamentswahlen (2005) und der Druck von westlicher Seite auf Ägypten, die autoritären Strukturen des Regimes etwas aufzulockern.


Junge Islamisten im Cyberspace – Die Bloggerszene der Muslimbrüderjugend

von Ivesa Lübben

In autoritären Regimen, in denen Menschen sich weder organisieren dürfen noch Meinungsfreiheit haben, artikuliert die Jugend ihren Unmut im Cyberspace: in Blogs, in Eintragungen bei Facebook oder auf Diskussionsforen. Bekannte Beispiele sind China oder Iran, wo inzwischen Hunderttausende junge Menschen bloggen. Die ägyptische Jugend hinkte diesen Entwicklungen zunächst hinterher. Die ersten Blogs – meist von linken Aktivisten – begannen mit dem Beginn der außerparlamentarischen Bewegungen wie Kifaya und den Streikbewegungen in den Fabriken. Blogs berichten über Aktionen, über Polizeiwillkür und Folterungen und über soziale Missstände. Einige – wie al-Wa`i al-misri (Das ägyptische Bewusstsein) – haben sich inzwischen zu alternativen Internetzeitschriften entwickelt.


Al-Jama`a al-islamiyya: zwischen Isolation und Integration

von Lutz Rogler

Wenn heute in Ägypten über die Auseinandersetzung zwischen Staat und islamistischer Opposition debattiert wird, geht es so gut wie ausschließlich um den Umgang mit der Muslimbruderschaft, die zwar mit einer starken Fraktion im Parlament vertreten ist, zugleich jedoch als Organisation noch immer keinen legalen Status hat und fast unterunterbrochen repressiven Maßnahmen der Behörden ausgesetzt ist. Nahezu völlig aus dem öffentlichen Blick geraten sind derweil jene radikalen islamistischen Gruppierungen, die bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre hinein in der Konfrontation mit dem Staat auf bewaffnete Gewalt setzten, vor allem al-Jama`a al-islamiyya und die Jihad-Organisation. Diese stellten seit der Eskalation der Gewalt im Jahre 1992 für die Staatsmacht einzig ein Sicherheitsproblem dar, das in der politischen Debatte allenfalls als Phänomen des „religiösen Extremismus“ behandelt wurde.


Politik und Glitter: Youssef Chahines Hollywood-Sehnsucht

von Viola Shafik

Wie kein anderer Filmemacher verkörpert Youssef Chahine (Yusuf Shahin), oder ‚Jo’ wie ihn mancher liebevoll nannte, das Dilemma des ägyptischen Films, das da heißt Mammon oder Kunst, in seinem Fall auch: Kassenschlager zuhause oder roter Teppich anderswo. Kein Wunder also, dass einige seiner Werke als Fallbeispiele des alten Gebots „Du sollst nicht zwei Herren dienen!“ gelten können. Dies will aber nicht heißen, dass dieses Oeuvre, das er im Juli 2008 hinterließ, nicht seine sinnvollen Ecken und Kanten hätte, an denen man sich auch in Zukunft stoßen wird.


Repressives Gesetz gegen die neuen audiovisuellen Medien

von Karsten Hudel

Die ägyptische oppositionelle Zeitung Al-Masry al-Yaum veröffentlichte am 9.Juli 2008 den ersten Entwurf des von der ägyptischen Regierung geplanten Gesetzes für audiovisuelle Medien. Die Kabinettsmitglieder billigten am 17. Juli den Entwurf von Informationsminister al-Fiqi und verwiesen ihn an den Schurarat, das Oberhaus des Parlamentes. Im kommenden Herbst möchte Präsident Mubarak das Gesetz verabschieden. Die Regierung argumentiert, dass damit lediglich eine legale Lücke geschlossen werden solle und die Pressefreiheit davon unberührt bleibe. Journalisten und Aktivisten sehen in dem geplanten Gesetz die Institutionalisierung der Zensur von Internet und Satellitenfernsehen.


Das zähe Ringen um ein Verbot der Frauenbeschneidung

von Nils Fischer

2007 erregten zwei Fälle von Frauenbeschneidung die ägyptische Öffentlichkeit. In dem einen Fall ging es um ein 13-jähriges Mädchen aus dem Gouvernement Gharbiya im Nil-Delta, das im August an den Folgen des Eingriffs starb. Der andere Fall ereignete sich im Juni, als ein 12-jähriges Mädchen aus einem Dorf im oberägyptischen Gouvernement al-Minya während der Beschneidung infolge der Narkose starb. Die ausführliche Berichterstattung in den ägyptischen Medien hat eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Frauenbeschneidung in Ägypten bewirkt und wirft erneut die Frage auf, warum sie weiterhin praktiziert wird, obwohl sich in Ägypten seit Jahrzehnten nationale und internationale Organisationen gegen sie einsetzen.


ALLGEMEINER TEIL

IRAK

Die tollste Geschichte, die jemals nicht erzählt wurde – die US-Megastützpunkte

von Tom Engelhardt

Die Firma Wintara (Inc. of Fort Washington, Maryland) erhielt am 28. Mai den Zuschlag für „Wiederaufbau von Anlagen“ für Sanierungsarbeiten auf einem Stützpunkt im Irak. Einer Pressemeldung des Verteidigungsministeriums zufolge, sollen die Arbeiten an diesen „Anlagen“ auf dem Stützpunkt in der Nähe von Saddam Husseins Heimatort Tikrit voraussichtlich bis zum 31. Januar 2009 abgeschlossen sein, nur 11 Tage nach dem Einzug eines neuen Präsidenten ins Oval Office. Es ist nur eine kleine Erinnerung daran, dass die großen und kleinen Stützpunkte im Irak auch unter der neuen Regierung in Washington erneuert und ausgebaut werden, genauso wie es seit Jahren praktiziert wird.


PALÄSTINA

15 Jahre internationale NGOs in Palästina: Die „neuen Söldner“

von Peter Schäfer

„Der Friedensprozess ist doch schon lange Geschichte.“ Das ist einer der wenigen Punkte, in denen sich Israelis und Palästinenser einig sind, und für ihre Situation mag das stimmen. Für die Träger des Prozesses allerdings, die internationalen Geberorganisationen, war die Zeit kaum jemals besser. Angesichts der aktuellen Geländewagenflut kann von einem Ende des Friedensprozesses keine Rede sein, schon gar nicht bei Betonung des zweiten Wortteils. Man redet von der Einhaltung der internationalen Rechte, unternimmt aber nichts gegen die Besatzung. Die Palästinenser erhalten pro Kopf 300 Dollar an internationaler Hilfe, aber wie der Artikel zeigt, ist die palästinensische Bevölkerung nicht käuflich und eine Zustimmung zum Verhandlungsprozess mit Israel wird so nicht zwingend erreicht. Was erreicht wird ist, dass die internationalen Geldgeber die Kosten der Besatzung zahlen und die Entpolitisierung der palästinensischen Gesellschaft voranschreitet.


INDONESIEN

Islamische Gerichtsbarkeit

von Thoralf Hanstein

Die islamische Gerichtsbarkeit in Indonesien ist unter mehreren Aspekten zunächst begrifflich näher zu bestimmen. Der indonesische Terminus peradilan agama bedeutet wörtlich übersetzt „religiöse Gerichtsbarkeit“. Obwohl diese Bezeichnung auch die Zuständigkeit für andere Religionen impliziert, so ist doch ihr Gebrauch geschichtlich bedingt auf die Religion des Islam beschränkt geblieben. Aus Unkenntnis über die Religion der Bevölkerungsmehrheit verwendeten die niederländischen Kolonialherren im Staatsblad 152 aus dem Jahre 1882 den Begriff „priesterraad“, also eine Bezeichnung, die für eine Religion ohne definierten Klerus nicht zutreffend ist. Im Staatsblad 53 aus dem Jahre 1931 kam der übergreifende Terminus„godsdienstige rechtspraak“ zur Anwendung, der später, in die Bahasa Indonesia übernommen, zu der o.g. uneindeutigen Bezeichnung führte.


Indonesische Scharia – deutsche Forschung: Gespräch mit Scharia-Richter Jufri Ghalib

von Daniel Kinitz

Eine Delegation von indonesischen Scharia-Richtern besuchte Deutschland, um sich über das deutsche Rechtssystem zu informieren. Daniel Kinitz sprach mit Jufri Ghalib, demStellvertretenden Vorsitzenden der Scharia-Gerichtsbarkeit von Aceh über Scharia-Recht in Aceh und Kooperationsmöglichkeiten mit deutschen Institutionen. Auf die Frage nach seinen Eindrücken in Deutschland bemerkt Richter Jufri Ghalib, ein ausgeprägtes Rechtsbewusstsein beim Individuum, mehr Ordnung und Disziplin im öffentlichen Leben, vom Straßenverkehr bis zur Politik. In Aceh wären die KVV die Wurzeln allen Übels: Korruption, Vertrauensmissbrauch und Vetternwirtschaft.


WIRTSCHAFTSKOMMENTAR

Können Petro-Dollars die israelische Wirtschaft ruinieren?

von Shraga Elam

Wie empfindlich die israelische Wirtschaft ist, zeigte letzthin der massive Anstieg des Schekels. Plötzlich wurde die israelische Valuta zur stärksten Währung der Welt, und damit sah sich die gesamte Exportindustrie existentiell bedroht. Denn die Außenhandelseinnahmen sanken massiv. Eine Preiserhöhung der israelischen Produkte auf den Weltmärkten hätte deren Konkurrenzfähigkeit schmerzhaft reduziert. High Teck-Unternehmen begannen Mitarbeiter zu entlassen und die Produktionsverlagerung in Billiglohn-Länder wurde beschleunigt. Es verbreitete sich unter Börsianern und Industriellen der Glaube an eine arabische Verschwörung, die durch Schekel-Einkäufe die israelische Wirtschaft zerstören wollen.


ZEITENSPRUNG

Algerien 1996: Die Ermordung der Trappistenmönche

von Valerio Pellizzari

Am 27. März 1996 wurden die sieben Trappistenmönche des Klosters Tibhirin, ca.120 km südöstlich von Algier, entführt. Am 31. Mai gaben die algerischen Behörden den Fund ihrer Leichen bekannt. In Wahrheit handelte es sich jedoch lediglich um die Köpfe, die Leichen selbst blieben unauffindbar. Als Täter wurde eine Gruppe der „Bewaffneten Islamischen Gruppen“ (GIA) unter Führung von Djamal Zitouni verantwortlich gemacht. Während die Mehrheit der Medien und auch der Erzbischof von Algier, Tessier, die offizielle Darstellung übernahmen, äußerte der Abt der Trappisten, Armand Veilleux, schon sehr früh massive Zweifel an der offiziellen Darstellung. Am 6. Juli erschien in der italienischen Zeitung La Stampa ein Artikel des Journalisten Valerio Pellizzari, der die damaligen Ereignisse beleuchtet.


LITERATUR

Szenen…der Flucht, …der Wiederkehr – Der Lyriker Ghassan Zaqtan

von Stephan Milich

Die ersten vierzig Jahre verbrachte Ghassan Zaqtan im Exil. Zakariyya (in Hebr. Zekharyaumbenannt), das Dorf seiner Eltern, hatte Zaqtân als Kind nicht kennengelernt. Im Jahr der Katastrophe (Nakba) 1948 wurden sämtliche palästinensischen Bewohner von israelischen Truppen aus dem heute in Israel gelegenen Ort vertrieben. Die Familie fand Zuflucht in Beit Jala, wo Ghassan Zaqtan 1954 geboren wurde. Sein Vater Khalil, der sich als „Dichter der Hungrigen“ bald einen Namen machte, hatte vor der Vertreibung als Bankangestellter in Ramle gearbeitet und fand nun eine Stelle als Leiter der UNRWA-Schule im Flüchtlingslager Deheishe bei Bethlehem. Anfang der 1960er Jahre zog die Familie dann in das in Jordanien gelegene Flüchtlingscamp Karama, wo Zaqtan seine Jugend verbrachte. 1967 wurde die Familie erneut vertrieben, dieses Mal erst nach Amman, schließlich in den bei Amman gelegenen Ort Rusayfa.


Mahmud Darwisch

Mahmud Darwisch starb am 9. August 2008 nach einer Herzoperation im Memorial Hermann Texas Medical Center in Houston. Er war einer der prominentesten palästinensischen und arabischen Dichter der Gegenwart. „Sein Œuvre umfasst über dreißig Gedichtbände und zwei Werke in poetischer Prosa und wurde in über zwanzig Sprachen übersetzt. Sein unverkennbarer, liedhafter Stil prägte die nachfolgenden Dichtergenerationen in der gesamten arabischen Welt“ (Stephan Millich ).


EX LIBRIS

Thomas Demmelhuber: Edda A. Strohmayer: Stabilität, Friede und Demokratie im Nahen Osten? 25 Jahre Ägypten unter Hosni Mubarak

Werner Ruf: Mohamed Khallouk: Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas. Marokko zwischen Rückfall ins Mittelalter und westlicher Modernität.

Ali Fathollah-Nejad: Arshin Adib-Moghaddam: The International Politics of the Persian Gulf: A cultural Geneology.

Asghar Schirazi: Vali Nasr: The Shia Revival: How Conflicts within Islam will Shape the Future.

Chana Dischereit: Emmanuel Guibert/Didier Lefevre: Der Fotograf


NACHRICHTEN//TICKER