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13.09.2016//Im Propagandakrieg um die Westsahara hat Marokko erneut eine Niederlage hinnehmen müssen. So empfiehlt Melchior Wathelet, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, gemäß einer am 13. September veröffentlichten Mitteilung, den am 10. Dezember vergangenen Jahres gefällten Schiedspruch des EuGH, ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko für landwirtschaftliche Produkte für nichtig zu erklären, wieder aufzuheben. Der EuGH hatte nämlich auf Antrag der Westsahara-Befreiungsfront POLISARIO geurteilt, dass der genannte Vertrag nicht zwischen Produkten aus Marokko selbst und aus der von Marokko besetzten Westsahara unterscheide und aus diesem Grund völkerrechtswidrig sei.
Was sich nun auf den ersten Blick wie eine Stellungnahme pro Marokko lesen mag, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als Bestätigung des Standpunkts der Saharauis, die um ihre Unabhängigkeit von Marokko kämpfen: So argumentiert Wathelet der Veröffentlichung zufolge, dass die Westsahara nicht zu Marokko gehöre, sondern es sich bei ihr um ein noch zu dekolonisierendes Gebiet handele. Das ist der Standpunkt der Vereinten Nationen, der sich auf ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag stützt. Daher, so der Generalanwalt, könne sich der Freihandelsvertrag (genauso wie ein Fischereiabkommen zwischen EU und Marokko) auch gar nicht auf die Westsahara beziehen. Für diese, so suggeriert Wathelet, sei nach wie vor die ehemalige Kolonialmacht Spanien verantwortlich, die ihre frühere „Überseeprovinz“ 1975 in einem völkerrechtswidrigen Vertrag an Marokko und Mauretanien abtrat. Das US-Magazin „Forbes“ kommentierte, dass genau dies auch der US-amerikanische Standpunkt in der Westsahara-Frage sei.
Die Stellungnahme des Generalanwalts ist nicht verbindlich, gibt aber in aller Regel bei einem Schiedsspruch des EuGH die Richtung vor. Das abschließende Urteil des EuGH, wie die bilateralen Freihandels- und Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko angesichts der Westsahara-Frage zu bewerten sind, wird in einigen Monaten erwartet.
Anfang des Jahres hatte Marokko aus Verärgerung über UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der im Rahmen einer Nordafrika-Tournee in aller Öffentlichkeit von der „marokkanischen Besatzung der Westsahara“ gesprochen hatte, das Begleitpersonal der Blauhelmtruppe MINURSO aus Marokko ausgewiesen, war aber Ende April vom Weltsicherheitsrat dazu verurteilt worden worden, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen. Darauf hatte Marokko im Sommer versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Afrikanische Union kurz davor stehe, das Königreich wieder aufzunehmen und die POLISARIO auszuschließen; Marokko war nämlich 1983 aus Protest über die Aufnahme der Westsahara in die Organisation für afrikanische Einheit (OAU, Vorläufer der AU) aus derselben ausgetreten. Allerdings stellte sich heraus, dass entsprechende Stimmen wie zum Beispiel Senegals schlicht gekauft waren – abgesehen davon, dass die AU-Satzung ein derartiges Verfahren ausdrücklich ausschließt.
Schließlich waren Ende August marokkanische Militärverbände in die demilitarisierte Pufferzone von Laguira an der Grenze zwischen der Westsahara und Mauretanien vorgedrungen, mit der offiziellen Begründung, dass man Schmugglern und Terroristen das Handwerk legen wolle. Dieser Vorstoß war von der POLISARIO als Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von 1991 gewertet worden und führte vor Augen, wie leicht der Konflikt um die Westsahara erneut zu einem Krieg eskalieren kann, in den unweigerlich auch Algerien hineingezogen würde.
Ein geeinter, wirtschaftlich erstarkender Maghreb scheint also ferner denn je – im Gegenteil sind gegenwärtig alle dortigen Staaten mit Ausnahme Mauretaniens damit beschäftigt, ihre Grenzen gegenüber den Nachbarn zu schließen und abzusichern.
Die deutsche Bundesregierung und die deutschen Medien unterstützen für gewöhnlich entgegen der bestehenden Rechtslage die marokkanische Position zur Westsahara und übernehmen kritiklos die Propaganda des Königreichs. Bald schon könnte Berlin aber gezwungen werden, hinsichtlich der Westsahara auf den Boden des internationalen Rechts und der Beschlüsse der UN zurückzukehren, statt diese permanent zu ignorieren und torpedieren