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inamo 86, Sahara/Sahel

»Sahara / Sahel«

Heft Nr. 86
Jahrgang 22, Sommer 2016, 70 Seiten
Juli 2016

Mit Beiträgen von:

Marko Scholze, Alexander Thurston, georg Klute, Abdoulaye Sounaye, Rüdiger Seesemann, Christine Hardung, Britta Frede, Judith Scheele, Alex Goldau, Bernhard Schmidt, Jeremy Keenan, Roman Deckert, Moe Ali Nayel, Aron Lund, Maria Fantappie, Stefan Ihrig, Imad Mustafa, Irit Neidhardt, Jörg Tiedjen, Michael Zander.

Inhalte im Schwerpunkt

Sahara / Sahel   

Neue muslimische Stimmen in der afrikanischen Sahelzone
Von Alexander Thurston

Der Sahel, abgeleitet vom arabischen Wort sāḥil („Küste“), ist das metaphorische südliche „Ufer“ der Sahara-Wüste. Der Sahel erstreckt sich von Senegal und Mauretanien in Westafrika bis nach Somalia in Ostafrika, doch im Allgemeinen wird die Region vor allem mit dem Senegal, Mauretanien, Mali, Niger und dem Tschad in Verbindung gebracht, und nicht so sehr mit Ländern im Horn von Afrika. In den vergangenen Jahren hat der Sahel oft wegen jihadistischer Gewalttaten international für Schlagzeilen gesorgt: Angriffe auf ausländische Botschaften in Mauretanien in den Jahren 2008 und 2009, Bombardierungen im Norden Nigers im Jahr 2013, zahlreiche Entführungen europäischer Touristen und Entwicklungshelfer seit 2003 und, was am dramatischsten ist, mit der etwa neun Monate währenden jihadistischen Machtübernahme im Norden Malis von 2012 bis 2013. In den letzten Monaten fanden in zwei Hauptstädten in der Sahelzone – in Barnako, der Hauptstadt von Mali, und in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso – massive Angriffe auf große Hotels statt.

Die sezessionistische und die islamische Forderung im Nördlichen Mali
Von Georg Klute

Während Utopien von (politischer) Autonomie oder einem unabhängigen (Tuareg-)Staat seit langem in internen Debatten unter den Tuareg einen festen Platz einnehmen, ist erst in jüngster Zeit die Forderung nach Unabhängigkeit nach draußen erhoben worden. Ein Tuareg-Staat „Azawad“ wurde sogar in die Tat umgesetzt, wenn auch nur für wenige Monate. Zum anderen fällt auf, dass nie versucht wurde, alle Tuareg über Grenzen der Gruppen-zugehörigkeit oder Wohngebiete hinweg zu integrieren. Ist die „nationale Identität“ der von ihnen bewohnten postkolonialen Staaten so stark, dass sie die „Forderung nach Unabhängigkeit“ ersetzt? Oder ist die vor-koloniale Form der politischen Organisation unter den Tuareg, die regionale Trommel-Gruppe (ettebel), noch immer so lebendig, dass sie die Errichtung eines alle Tuareg umfassenden Staates verhindert?

Jugend, Politik und Religion im Niger: Die Wahlen im Februar 2016
Von Abdoulaye Sounaye

Der Wahlkampf in Niger im Februar 2016 macht deutlich, dass salafistische Islamgelehrte sich nicht länger aus politischen Debatten heraushalten. Stattdessen bringen sie sich durch öffentliche Predigten ein und rufen gläubige Muslime dazu auf, ihren Bürgerpflichten nach politischer Mitbestimmung nachzugehen, um die Gesellschaft in islamischen Sinne mitzugestalten. Der hohe jugendliche Bevölkerungsanteil Nigers ist sowohl für salafistische Prediger als auch für Politiker eine wichtige Zielgruppe. Da der Salafismus bereits viele junge Anhänger gewinnen konnte, könnte dies in Zukunft ein Abschied von einer säkular geprägten politischen Kultur bedeuten. In der Nachbarregion Nordnigeria ist dies inzwischen bereits Realität. Dort haben sich nicht nur friedlich orientierte Salafisten etabliert, sondern auch gewaltbereite Gruppierungen. Von solchen Verhältnissen ist der Niger noch entfernt, doch der Wahlkampf 2016 zeigt, dass säkulare Weltanschauungen im Gegensatz zu salafistischen und islamistischen zunehmend verstummen.

Die Sufi-Orden in der senegalesischen Politik
Von Rüdiger Seesemann

Die Republik Senegal hat den Ruf, einer der stabilsten und demokratischsten Staaten Afrikas zu sein. Die Tatsache, dass es seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 keinen gewaltsamen Regierungswechsel gab, wird von vielen Beobachtern unter anderem auf die das politische und gesellschaftliche System stützende Rolle der so genannten Sufi-Orden zurückgeführt.

Politische Mobilisierung und das Erbe der Sklaverei in Mauretanien
Von Christine Hardung

Mit der Demokratisierung Westafrikas in den 1990er Jahren begannen sich vor allem im Sahel-Sahararaum Nachkommen von Sklaven politisch zu organisieren. In dieser Region, einst im Schnittfeld des transatlantischen, saharischen und innerafrikanisch subsaharischen Sklavenhandels gelegen, machen Gruppen von Sklavenherkunft bis zur Hälfte der Bevölkerung aus. Hier sind auch die meisten Anti-Sklavereiorganisationen entstanden. Die jüngsten, im letzten Jahrzehnt aufgekommenen Organisationen kennzeichnet ein internationalisierter Militantismus, der Rekurs auf die neuen Medien als zentralem Mittel der Mobilisierung, die starke Einbindung der Jugend und das (Wieder)Aufleben des Religiösen. Die mauretanische Anti-Sklavereibewegung IRA (L’initiative de Résurgence du mouvement Abolitionniste), 2008 in Mauretanien gegründet, ist emblematisch für diese Entwicklungen.

Traditionaler Koranunterricht als nachhaltige Entwicklungshilfe? Ein Interview mit Fatimetou Mint Meydah (Nouakchott, 14.4.2014)
Von Britta Frede

Eine thematische Einführung in die zeitgenössische traditionale Bildung in Nouakchott und ein Interview mit Fatimetou Mint Meydah (auch bekannt als Fou (Affū) Mint Meydah), Mitbegründerin der mauretanischen Frauenorganisation für den Kampf gegen Analphabetismus und Armut (Association Féminine pour le lutte contre l’analphabetisme et la pauvreté).

Handel in der Sahara: Alltägliche Sorgen und internationale Ängste
Von Judith Scheele

Seit einigen Jahren ist der Trans-Sahara-Handel wieder zurück in den Schlagzeilen; aber obwohl wenige wissen was wirklich in der Sahara vor sich geht, der „transsaharische Drogen- und Waffenhandels“ wird scharf verurteilt, und ohne Beweise mit dem „internationalen Terrorismus“ (von dem man auch sehr wenig weiss) gleichgestellt.

Von der Front zum Staat – die Frente POLISARIO und die DARS
Von Axel Goldau

Am 31. Mai 2016 ist Mohamed Abd el Azis, Generalsekretär der Frente Polisario und Präsident der Demokratischen Arabischen Republik (DARS), verstorben.  Bis zur Wahl des neuen Generalsekretärs und Präsidenten der Republik nach 40 Tagen Staatstrauer wird Khatri Adduh, Vorsitzender des Nationalrates der Frente Polisario die Amtsgeschäfte des Verstorbenen weiterführen. Noch kurz vor seinem Tode wandte sich der Präsident an den Generalsekretär der Vereinten Nationen und warnte vor „grünes Licht für militärische Aggressionen“ für Marokko, sollte der Sicherheitsrat es vermeiden „tatsächlichen und direkten Druck“ auf Marokko auszuüben, die aktuellen Behinderungen der MINURSO nicht sofort wieder aufzuheben.

Libyen unter und nach Qadhhafi
Von Bernhard Schmid

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Libyen einen der nächsten Schauplätze für eine künftige militärische Intervention von EU-Staaten – unter ihnen Frankreich und Italien – und anderen auswärtigen Mächten bildet. Dabei wird es sicherlich unter anderem auch um die militärische Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS) gehen. Aber weit oben auf der Agenda steht dabei immer auch die Bekämpfung sogenannter Schleppergruppen und -banden, wobei dieser Kampf vordergründig um die Rettung von Migrantinnen und Migranten aus ihren Fängen, in Wirklichkeit aber zur Verhinderung von Migrationsbewegung geführt wird.

Bestellter Terror
Interview mit Jeremy Keenan

Die französische Militärintervention in Mali Anfang 2013 erschien geradezu als alternativlos. Damals drohten jihadistische Kampfverbände in den Süden des Sahelstaats vorzustoßen, nachdem sie im Vorjahr im Anschluss an eine Tuareg-Revolte den Norden unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die malische Armee hatte ihnen wenig entgegenzusetzen. Zwar gelang es Frankreich, die Offensive abzuwehren. Doch auch drei Jahre später sind die erklärten Kriegsziele nicht erreicht: den Frieden und die Einheit Malis wiederherzustellen. Stattdessen haben sich Terror und Instabilität in der ganzen Region ausgebreitet. Nach den Gründen und Ursachen für diese verhängnisvolle Entwicklung allerdings wird nicht einmal ernsthaft gefragt.

Inhalte im allgemeinen Teil

GASTKOMMENTAR
Festival de l´Air – kulturelles Erbe und Ermächtigung
Von Marco Scholze

SAUDI ARABIEN
Saudi-Arabien blickt voll Wut auf den Libanon
Von Moe Ali Nayel

Die Rechnung immer massivere Versuche Saudi-Arabiens, in die libanesische Politik einzusteigen, und eine Front gegen Hizbullah im Libanon aufzubauen, scheint nicht aufzugehen. Zumindest im Moment nicht. Die Arabische Liga konnten sie überzeugen Hizbullah als „terroristische“ Organisation zu erklären. Mit der Absicht, Hizbullah in ihrem Heimatland auszugrenzen und zu isolieren, ist es nicht der erste Versuch der Saudis, ihren eigenen kalten Krieg in die libanesische Arena zu bringen.

SYRIEN
Waffenruhe in Syrien wird zur Belastungsprobe für die großen islamistischen Gruppen
Von Aron Lund

Die Spannungen zwischen Ahrar al-Sham und der Nusra-Front nehmen seit Monaten zu. Vordergründig geht es beim Streit zwischen den beiden größten bewaffneten Oppositionsgruppen um die Einhaltung der seit 27. Februar geltenden Waffenruhe. Äußerungen ihrer Führer deuten aber auf einen grundsätzlicheren Konflikt um den Führungsanspruch im seit fünf Jahren anhaltenden Krieg hin.

SYRIEN
Die syrischen Kurden
Interview mit Maria Fantappie

Die syrischen Kurden spielen eine zunehmend wichtige Rolle im syrischen Bürgerkrieg und in den letzten Jahren haben Kräfte der Demokratischen Einheitspartei (PYD) in weiten Teilen Nordsyriens mit hohem kurdischen Bevölkerungsanteil die Kontrolle übernommen. Im März 2016, kurz nachdem die PYD von den in Genf unter der Schirmherrschaft der VN stattfindenden diplomatischen Gesprächen ausgeschlossen worden war, erklärte die syrische Kurdenpartei, die von ihr etablierten selbstverwalteten Gebiete von nun an zu einem föderalen Gebiet innerhalb Syriens. Seitdem versucht die Türkei, die in der PYD einen Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sieht, eine weitere Ausbreitung der Macht der PYD in Nordsyrien zu verhindern. Jadaliyya sprach im Rahmen der “Quick Thoughts”-Reihe der International Crisis Group (ICG) mit Maria Fantappie, die die Forschungen der ICG zum Thema Kurden seit Beginn des Syrienkonflikts leitet und vor kurzem die kurdischen Enklaven in Syrien bereiste.

WIRTSCHAFTSKOMMENTAR

Die Westsahara und die deutsche Außenwirtschaftspolitik
von Axel Goldau

ZEITENSPRUNG
Karl Liebknechts Anfrage zum Armeniergenozid am 18. Dezember 1915
Von Stefan Ihrig

Der Genozid an den Armeniern hat eine lange Geschichte in Deutschland, und darüber hinaus ist er um einiges enger mit der deutschen Geschichte verbunden als allgemein angenommen. Während des Ersten Weltkrieges fand im Osmanischen Reich eine Jahre andauernde Gewaltaktion statt, die – ganz besonders aufgrund der in Deutschland verfügbaren Quellen – als Völkermord bezeichnet werden muss. Hundert Jahre später ist diese Gewaltaktion, in der wahrscheinlich über eine Million Armenier umkam, selbst immer noch ein umstrittenes Thema, auch das historische Verhältnis Deutschlands zum Armeniergenozid ist überbürdet mit Verwirrung und historischer Unsicherheit.

Ex mediis

Arabisch-jüdische Filmgeschichten (Irit Neidhardt)

Benjamin Buchholz: Loya Jirga – Afghanischer Mythos, Ratsversammlung und Verfassungsorgan 2013 (Matin Baraki)

Jürgen Manemann: Der Dschihadismus und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg? Transcript Bielefeld 2015, 132 Seiten. (Imad Mustafa)

Drei Bücher zu Hollande in Afrika: Bernard Barrera: Opération Serval. Notes de geuerre. Mali 2013, Editioins du Seueil, Paris 2015.

Christophe Boisbouvier: Hollande l´Africain, La Découverte, Paris 2015

Yanis Thomas, Centrafrique, un destin volé. Histoire d´une domination Francaise. Préface de´Odile Tobner, Dossiers noirs 26, Abgone, Marseille 2016 (Jörg Tiedjen)