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Gastkommentar

Der Gerechte hält Einrede
Von Esther Dischereit

 

Iran: Die Grüne Bewegung

Nach dem Protest ist vor dem Protest
Von Bahman Nirumand

Auf den Straßen Irans ist es ruhiger geworden. Neun Monate lang hat das demokratische Iran der Brutalität des Regimes die Stirn geboten. Doch am Ende ist es den Machthabern gelungen, durch den Einsatz massiver Gewalt, durch tausende Festnahmen, durch Folterungen in den Gefängnissen, durch Schauprozesse und erzwungene Geständnisse, durch Hinrichtungen und langjährige Haftstrafen, die Protestierenden von der Straße zu verdrängen. Für die «erfolgreiche» Unterdrückung der Protestbewegung im Anschluss an die Wahlen im Jahr 2009 bezahlt der islamische Staat einen hohen Preis. Sie hat zu Spaltungen und zur Zersplitterung des gesamten islamischen Lagers geführt. Der Publizist Bahman Nirumand zieht ernüchtert Bilanz. Ohne Organisation und Strategie wird die «Grüne Bewegung» allerdings wirkungslos bleiben.

 

In Erwartung des Mahdi – Machtspiele und Selbstzerstörungstendenzen innerhalb des fundamentalistischen Lagers
Von Asghar Schirazi

Mit der massiven Manipulation der Wahlen ist der letzte Schein des Republikanismus im Iran verblasst. Täuschte der fehlgebürtige islamische Staat nur noch durch regelmäßige Wahlen, die zumindest den Reformern im System eine geringe Möglichkeit zur Beeinflussung der Politik öffneten, so scheint dieses jetzt endgültig verloren gegangen zu sein. Mehr als je zuvor ist die Islamische Republik ein quasi absolutistischer Staat, der sich durch die absurde Behauptung legitimiert, den Willen Gottes zu vertreten. Zu seiner Legitimierung braucht der Staat weder die Stimmen des Volkes, noch ist er darauf angewiesen, vom ihm akzeptiert zu werden.

Im nachstehenden Beitrag analysiert der in Berlin lebende Politologe Asghar Schirazi die politischem Machtkonstellationen innerhalb des fundamentalistischen Lagers. Die «Grüne Bewegung» steht nämlich keineswegs einem ideologisch und strukturell geeinten Block gegenüber.

 

Die grüne Bewegung wartet auf die unsichtbare Hand
Von Mohammad Maljoo

Der Oberste Führer der Islamischen Republik Iran propagierte für das Jahr 2009 „Verbesserung des Konsumverhaltens“ (was er meinte war: Sparsamkeit). Für 2010 propagierte Khamenei „das Jahr der verdoppelten Anstrengung und verdoppelten Arbeit“. Nach dem Gürtel enger schnallen, nun die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Mohammad Maljoo, der die Hoffnungen der Linken auf die iranischen Arbeiterklasse, die sich den Protesten nur vereinzelt anschloss, nicht teilt, entwickelt drei Szenarien für die weitere Entwicklung: Die Erfüllung der Sparsamkeitswünsche des Obersten Führers grenzt er aus. Zur Parole der „verdoppelten Arbeitsanstrengung“, im Klartext Produktionserhöhung, meint er, dass dazu zuerst ein Prozess der nationalen Versöhnung stattfinden müsse, der „das Trauma des vergangenen Jahres überwindet“. Als drittes Szenario nennt er das Jahr der halbierten Arbeitsleistung aufgrund anhaltender Streiks, Rezession und bremsende Produktivität wegen der internationalen Sanktionen.

 

Die „Geographie“ der Opposition im Iran. Eine Bestandsaufnahme: Jugendliches Utopia oder klassenbewusster Kommunitarismus?
Von Arshin Adib-Moghaddam

Welche analytischen Kategorien können uns helfen, die wiederholten Widerstandsaktionen gegen den Staat im Iran zu erklären? Einige Wissenschaftler und Analysten verweisen auf den demographischen Wandel in der iranischen Gesellschaft als die treibende Kraft der Reformbewegung. „Jugend“ wird hier als ein Katalysator für politischen Wandel angesehen, da angenommen wird, dass zwei Drittel der iranischen Bevölkerung jünger als 35 Jahre sind.

 

Wahlverwandtschaften zwischen der Frauenrechtsbewegung und der Grünen Bewegung
Von Elham Gheytanchi

Elham Gheytanchi versucht mit dem Begriff „Wahlverwandschaft“ (Max Weber) die Wahlverwandschaften zwischen der Frauenrechtsbewegung und der Grünen Bewegung aufzuzeigen. Also die „Resonanz oder Kohärenz von Aspekten zweier historischer Phänomene, ohne dass sich die Akteure dessen notwendigerweise bewusst sind.“ Nach Gheytanchi wären in diesem Fall die Wahlverwandschaft zwischen der Grünen Bewegung und der Frauenbewegung die Basisdemokratie, Ablehnung hierarchischer Strukturen, Stärkung der Minderheiten, Gewaltlosigkeit und der Gebrauch der Medien.

 

Ethnischer Nationalismus und seine Probleme mit der „Grünen Bewegung“
Von Asghar Schirazi

Die Protestaktionen der „Grünen Bewegung“, die in den ersten Monaten nach den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 stattfanden, zeichneten sich u.a. dadurch aus, dass sie vorwiegend auf die großen mehrheitlich von Persern bewohnten Städte Teheran, Isfahan, Shiraz und Mashhad konzentriert waren. Städte mit vorwiegend  kurdisch, arabisch und belutschisch sprechenden Bewohnern nahmen minimal daran teil; damit waren die Erfolgschancen der Bewegung  stark geschmälert.  Sucht man nach Gründen für diese in der einschlägigen Polemik als „Schweigen“ bezeichnete Haltung, findet man sie, ganz allgemein formuliert, in den ethnonationalistischen Tendenzen, die besonders seit der erstmaligen Wahl Ahmadinejads zum Staatspräsidenten im Jahre 2005 stark zugenommen haben und sich zum Teil in extremistischen Äußerungen gegen den Iran als Staat und Nation zum Ausdruck bringen.

 

Das große Scheitern: Nationalökonomie der Islamischen Republik
Von Fereydoon Khavand

Die politische Krise, die im Jahre 2009 die Islamische Republik überfiel, hat verschiedene Ursachen, u. a. wirtschaftliche.  Ohne Zweifel haben die wirtschaftliche Rezession, das offensichtliche Missmanagement in der Entwicklungspolitik, die nackte soziale Ungleichheit  und die wuchernde Korruption den mehr oder weniger offenen Aufruhr eines Großteils der iranischen Öffentlichkeit, besonders junger Menschen, gegen die bestehende politische Ordnung mit verursacht.

 

Das Sanktionsregime gegen Iran: Entstehungsgeschichte und Auswirkungen
Von Ali Fathollah-Nejad

Sanktionen, ob wirtschaftlicher und/oder politischer Natur, gelten als Instrument zur Erwirkung von Zugeständnissen beim politischen Opponenten. Zumeist wird versucht, dieses Ziel dadurch zu erreichen, dass dem sanktionierten Staat oder der jeweiligen tonangebenden Machtelite das Einkommen beschnitten wird. Um eben jenen Kurswechsel beim Adressaten herbeizuführen, werden Sanktionen im politischen Diskurs zudem als nachgerade gewaltloses, friedliches Mittel dargestellt. In Bezug auf Iran werden gegenwärtig folgende Ziele, die durch Sanktionen zu erreichen seien, proklamiert: Iran soll zu Zugeständnissen zu Gunsten der USA bzw. des Westens gezwungen werden, v.a. im Nuklearstreit, potentiell aber auch bei politischen Fragen in Südwestasien; Irans Atomwaffenfähigkeit soll verhindert werden; die iranische Führung soll geschwächt und die Zivilgesellschaft gestärkt werden.

 

ALLGEMEINER TEIL

Afghanistan

Beobachtungen in Afghanistan
Von Matin Baraki

Der derzeitige US-Beauftragte für Afghanistan und Pakistan (AfPak), Richard Holbrooke, hat die südliche afghanische Provinz Helmand besucht, wo die NATO unter US-Armeeführung in den Bezirken Mardjah und Nade Ali einen Krieg der verbrannten Erde führen. Holbrooke verkündete bezüglich dieses Krieges seine volle Zufriedenheit mit den Ergebnissen der Kampfhandlungen. Unser Autor Matin Baraki hielt sich zum gleichen Zeitpunkt in Afghanistan auf (Mitte Februar bis Ende März 2010). Seine Erfahrungen dürften sich kaum mit denen Holbrookes decken.

KASTEN: Warum WikiLeaks den Krieg nicht stoppen wird  von Noam Chomsky

 

Libanon

 

Hizbullahs „Disneyland“?: Die Tourismuspolitik der Hizbullah
Von Manuel Samir Sakmani und Manja Riebe

 

Die Tourismuspolitik der Hizbullah wurde bislang nur selten ganzheitlichen Betrachtungen unterzogen bzw. überhaupt als solche wahrgenommen.  Das liegt auch daran, dass die Partei kein eigenständiges „Ressort“ für Tourismuspolitik unterhält, da sie diese vordergründig als PR-Arbeit begreift, womit sie der Zuständigkeit ihres Department for Media Relationsunterliegt. Zwar sind schon seit dem Jahr 2000 touristische Aktivitäten der Hizbullah nachzuweisen, doch wurden diese zunächst ohne viel Planung ins Leben gerufen und eher beiläufig betrieben. Seither ist ein stetiger Entwicklungsprozess nachzuvollziehen, der sich in jüngerer Zeit in einem erkennbaren tourismuspolitischen Konzept abzuzeichnen beginnt.

 

Palästina/Israel

 

Der Überfall auf die Free Gaza Flottille am 31. Mai 2010: Völkerrechtliches Gutachten
Von Prof. Dr. Norman Paech

Der Überfall auf die Free Gaza Flottille am frühen Morgen des 31. Mai 2010 durch die israelische Armee hat weltweit erhebliche Empörung ausgelöst. Bei ihm kamen auf der unter der Flagge der Komoren fahrenden Mavi Marmara neun Passagiere ums Leben, mindestens 45 wurden zum Teil schwer verletzt. Während zahlreiche Stimmen von einer schweren Verletzung des Völkerrechts, ja von Kriegsverbrechen sprechen, sieht sich die israelische Armee vollkommen im Recht und hat nach einer internen Untersuchung lediglich einige Pannen bei der Planung und Durchführung der Kaperung der Schiffe eingeräumt.

Um das Geschehen genauer völkerrechtlich analysieren zu können, muss zunächst der Hergang der Ereignisse geklärt werden, der immer wieder unterschiedlich dargestellt wird. Lediglich sechs der ursprünglich acht Schiffe trafen sich am 30. Mai weit südlich der Insel Zypern und westlich von Israel in internationalen Gewässern. Es waren die Passagierschiffe MV Mavi Marmara unter der Flagge der Komoren, die MV Challenger I unter der Flagge der USA und die MV Sfendoni unter der Flagge Togos, die Frachter MV Defney unter der Flagge von Kiribati, die MV Eleftheri Mesogeio (Free Mediterranean) unter der Flagge Griechenlands und die MV Gazze I unter der Flagge der Türkei. Die unter US-amerikanischer Flagge fahrende MV Challenger II musste kurz nach ihrem Auslaufen aus dem griechischen Hafen Agios Nikolaos wegen eines Steuerungsschadens, ein offenkundiger Sabotageakt der israelischen Armee,  aufgeben und ihre Passagiere auf die Mavi Marmara übersetzen. Der von Irland startende Frachter Rachel Corrie unter der Flagge von Kambodscha konnte den Treffpunkt wegen verschiedener Probleme nicht mehr rechtzeitig erreichen.

Die Schiffe waren von Athen, Istanbul und Agios Nikolaos gestartet. An Bord waren insgesamt knapp über 700 Passagiere aus 36 Ländern (laut The Guardian 671 Passagieren, das Innenministerium von Israel sprach am 5. Juni von 702 deportierten Menschen), die 577 allein auf der Mavi Marmara. Die Frachter hatten etwa 10 000 to Hilfsgüter an Bord, vor allem Nahrungsmittel und Textilien, Pharmaka und medizinische Ausrüstungen, Baumaterialien wie 3500 to Zement, 750 to Stahl, Holz, Plastikfensterrahmen und Glass, Elektro- und Dieselgeneratoren, Spielzeug, 20 to Papier etc.  Es waren nicht die ersten Schiff der Free Gaza-Bewegung, die die Blockade des Gazastreifens von See aus durchbrechen wollten. Bereits im August 2008 war es zwei Schiffen mit 44 Aktivisten gelungen, Gaza zu erreichen – die ersten internationalen Schiffe seit 42 Jahren. Es folgten vier weitere erfolgreiche Fahrten und drei von der israelischen Marine verhinderte Versuche. Die Spirit of Humanity, die am 30. Mai 2009 von der israelischen Armee angegriffen und nach Ashdod entführt wurde, ist immer noch nicht zurückgegeben worden.

Die Flottille war von einer Koalition von sechs Organisationen zusammengestellt worden: 1. The Free Gaza Movement, 2. IHH Humanitarian Relief Foundation, 3. The European Campaign to End the Siege on Gaza (ECESG), 4. The International Committee to End the Siege on Gaza, 5. The Greek Ship to Gaza Campaign, 6. The Swedish Ship to Gaza.

 

Palästina neu erfinden: Das Friedenskino von Jenin
von Irit Neidhardt

Auf Initiative des Dokumentarfilmers Marcus Vetter und mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes wurde Anfang August 2010 das Cinema Jenin über 20 Jahre nach seiner Schließung wieder eröffnet. Es ist als „Kino für den Frieden“ konzipiert und soll den Menschen in Jenin Hoffnung geben. In ihrem Artikel spürt Irit Neidhardt den unterschiedlichen Definitionen des Begriffs Frieden, die im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts und den verschiedenen Lösungsversuchen angewendet werden nach und hinterfragt das Friedenspotential des Cinema Jenin kritisch.

 

„Land Grabbing“ in Afrika
Von John Vidal

Nach John Vidal war die Ursache der beschleunigte Landnachfragen, inzwischen als „land grabbing“ bezeichnet, die „weltweite Nahrungsmittelknappheit, die der starken Ölpreiserhöhung 2008 folgte, zunehmende Wasserknappheit und das Beharren der EU, dass bis 2015 10% aller Treibstoffe von rein pflanzlichen Biokraftstoffen kommen müssen.“ Kritiker bezeichnen „land grabbing“, das in einigen Gebieten schon zur Vertreibung der Landbevölkerung und heftigen Demonstrationen geführt hat, als neokolonialistisch.

 

Wirtschaftskommentar

Hawala und anderer Bargeldtransfer

In den vergangenen drei Jahren ist vom internationalen Flughafen Kabul offensichtlich Bargeld von mehr als 3 Milliarden $ ausgeführt worden; eine so große Summe, dass amerikanische Ermittler annehmen, dass afghanische Spitzenfunktionäre und deren Mitarbeiter Milliarden von abgezweigten Dollars, die aus amerikanischen Förder- und Versorgungsmitteln stammen und aus dem Drogenhandel in finanziell sichere ausländische Häfen transferieren. Das Bargeld – verpackt in Koffern, in Paletten gestapelt und in Flugzeuge verladen – wurde ordnungsgemäß deklariert und damit legal ausgeführt. Aufgrund ihres Ausmaßes im Verhältnis zu Afghanistans kleiner Wirtschaft und der Unklarheit ihrer Herkunft wollen amerikanische und afghanische Funktionäre die Geldflüsse zum Gegenstand ihrer Ermittlungen machen. Offizielle Kreise glauben, dass ein Teil, möglicherweise sogar der größte Teil des Bargeldes, von westlichen Entwicklungshilfeprojekten und amerikanischen , europäischen und NATO-Verträgen zur Unterstützung von Sicherheit, Hilfslieferungen und Wiederaufbauleistungen für Afghanistan, abgezweigt wurde. Die NATO allein hat im vergangenen Jahr hier ungefähr 14 Milliarden $ ausgegeben….

 

Zeitensprung

2006 – Juli bis September – 3 Monate in Gaza
Von Norbert Mattes

Am 11. Juli 2006 forderten sechs israelische Menschenrechtsgruppen (Be´Tselem, Association for Civil Rights in Israel, Physicians for Human Rights – Israel, Hamoked: Center for Defense of the Individual, Public Committee against Torture in Israel, Gisha: Center for the Legal Protection of Freedom of Movement), die Übergänge zum Gazastreifen zu öffnen, damit permanent Lebensmittel, Brennstoff, Medizin und Ersatzteile für die Generatoren in den Gazastreifen gebracht werden können. Die Armee hatte am 28. Juni die „Operation Sommerregen“ mit hemmungsloser Gewalt begonnen. Damit sollten die Erwartungen der Palästinenser herabgesetzt und ihr Widerstand gebrochen werden. Wir dokumentieren die Ereignisse der Monate Juli bis September 2006.

 

Ex Mediis

Tahar Ben Jelloun: Au pays (Deutsch: Zurückkehren), Berlin 2010.
Von Barbara Dietrich

Paul-Éric Blanrue: Sarkozy, Israel et les Juifs und Régis Debray: Á un ami israélien, avec uns réponse d’Élie Barnavi, Paris 2010.
Von Malcolm Sylvers

Lamya Kaddor: Muslimisch – weiblich – deutsch. Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam, München 2010.
Von Birgit Rommelspacher

 

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