+49 (0)30 / 864 218 45 redaktion@inamo.de

Gastkommentar
Ahmad Hissou: Libanon – Ende der syrischen Kontrolle: Was kommt danach?

AFRIKA//ISLAM
Patrick Desplat: Äthiopien – Diaspora am Horn von Afrika?
Äthiopien als christliches Eiland inmitten eines Meers des Unglaubens? Mitnichten! Äthiopien wird im afrikanischen Kontext seit jeher ein besonderer Status eingeräumt, der im historischen Erbe und der damit verknüpften Wahrnehmung „Abessiniens“ begründet liegt. Abessinien, so die gebräuchliche Bezeichnung für Äthiopien bis in die 1930iger Jahre, steht für den Hort einer jahrhundertealten, orthodox-christlichen Tradition und für ein im Hochgebirge des nordöstlichen Afrikas isoliert und zurückgezogenes ebenso altes kaiserliches Reich. Mit dem Sieg über die Italiener 1896 in Adwa konnte sich das Reich zudem den europäischen Kolonialbestrebungen entziehen und blieb bis auf eine kurze italienische Besatzungszeit (1936-1941) unabhängig.

Rüdiger Seesemann: Kenia – Muslime im politischen Wandel
Die ostafrikanische Küste zählt zu den Gebieten, die nach dem 11. September 2001 stärker in das Blickfeld amerikanischer Militärstrategen rückten. Das plötzliche Interesse auswärtiger Mächte hatte die Region zum einen ihrer geographischen Lage am Indischen Ozean zu verdanken, und zum anderen wurde das seit mehr als einem Jahrzehnt von Staatszerfall betroffene Somalia als potenzieller Rückzugsraum für al-Qa’ida-Mitglieder gehandelt. Vorübergehend machten Spekulationen die Runde, daß die Bush-Administration ein militärisches Eingreifen in Somalia planen könnte, um nach afghanischem Vorbild die dort vermuteten Terroristenhöhlen „auszuräuchern“. Allerdings ließ die unübersichtliche Situation in Somalia ein solches Unterfangen nicht als aussichtsreich erscheinen, und die „Allianz gegen den Terror“ begnügte sich mit der Überwachung des Schiffsverkehrs im Indischen Ozean, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt. Auf dem ostafrikanischen Festland geriet unterdessen Kenia in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – eine Entwicklung mit Folgen für die dort lebenden Muslime.

Roman Loimeier: Tansania – Muslime suchen ihre nationale Rolle
Während muslimische Gesellschaften in Ostafrika über Jahrhunderte im wesentlichen auf die Küstengebiete (sawahil, daher „Swahili“) und die vorgelagerten Inseln beschränkt waren, kam es im 19. Jahrhundert zu einer langsamen Expansion muslimischer Händlernetzwerke in die Regionen des Hinterlandes (Swahili: bara). Im 20. Jahrhundert haben diese muslimischen Gemeinschaften in Uganda, Kenya, aber vor allem Tanganyika, das seit 1964 mit dem Inselstaat Sansibar zur Republik Tansania wurde, enorm an Zahl und Bedeutung gewonnen. Muslime stellen heute einen beträchtlichen Anteil der Bevölkerung der ostafrikanischen Länder.

Benjamin Soares: Mali: Islamismus im Visier
Mali ist eines der ärmsten Länder der Erde und zugleich einer der größten Empfänger von Auslandshilfe. Natürlich wäre es naiv anzunehmen, daß die erheblichen Summen unabhängig von geopolitischen und strategischen Interessen der Geberländer fließen. In der Tat tendieren die politischen Kreise sowohl in den USA als auch in der EU dazu, Mali aufgrund seiner langen Grenzen zu Mauretanien und Algerien als potenzielle Barriere gegen das Vordringen eines radikalen Islam nach Westafrika zu erachten. Seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion, zu der Mali wichtige Beziehungen hatte, wurde das Land von europäischen und amerikanischen Geberinstitutionen als Modell für den Übergang zur Demokratie und für die Umsetzung einer liberalen Wirtschaftspolitik gepriesen. Seit dem 11. September 2001 allerdings, seit es heißt, überall auf der Welt nach Hinweisen auf islamischen „Fundamentalismus“, Islamismus bzw. politischen Islam zu suchen, ist auch Mali ins Visier geraten.

Ousmane Kane: Senegal – Die Sufi-Bruderschaften
Zu den oft herausgestellten charakteristischen Besonderheiten des politischen Systems in Senegal gehört nicht nur seine im Vergleich mit anderen afrikanischen Staaten große Stabilität, sondern auch die Tatsache, daß im ganzen Land und insbesondere unter der ländlichen Bevölkerung gut strukturierte muslimische religiöse Organisationen tief verwurzelt sind – die islamischen Bruderschaften oder Sufi-Orden.

Franz Kogelmann: Nigeria – Scharia Debatten
Es gibt kaum ein Thema, das die westliche Öffentlichkeit mehr beunruhigt, als das unbedingte Festhalten von Muslimen am islamischen Recht, der Scharia. Irritierend wirkt vor allem das Bekenntnis vieler Muslime – ohne dies näher zu erläutern –, daß der Islam die Scharia und die Scharia der Islam sei, beide einander deckungsgleich bedingen und die Scharia die Essenz ihrer Religion sei. Im Westen hingegen wird das islamische Recht als archaisches Recht wahrgenommen, das inkompatibel mit zeitgenössischen Rechtsstandards ist. Während zivilrechtliche Aspekte der Scharia für die Unterdrückung von Frauen verantwortlich gemacht werden, steht das islamische Strafrecht für grausame Körperstrafen, die den „westlichen“ Menschenrechten diametral entgegenstehen. Weit weniger bekannt ist jedoch die Tatsache, daß in vielen durch den Islam geprägten Ländern öffentliche Debatten über das islamische Recht geführt werden. So auch seit 1999 in Nigeria.

Anke Bossalle r: Nigeria – Steinigungsurteile
In den nördlichen Bundesstaaten von Nigeria wurden zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts Frauen auf Grundlage der Scharia wegen zina (Unzucht, Ehebruch) zur Steinigung verurteilt. Diese Urteile erregten auch in der ‚westlichen Welt‘ große Aufmerksamkeit. Die Urteile waren möglich geworden, weil das bei der Unabhängigkeit 1960 eingeführte Strafgesetz durch die Inkraftsetzung der Scharia seine Gültigkeit verloren hatte. Das erste Urteil betraf Safiyatu Husseini. Sie brachte nach drei Jahren, die sie wegen Abwesenheit des Ehemannes und dann Scheidung alleine gelebt hatte, ein Kind zur Welt.

Ursula Günther: Südafrika – Debatten um das Personenstandsrecht
Obwohl Südafrikas muslimische Bevölkerung knapp 1,3 % der Gesamtbevölkerung beträgt und mit ca. 550.000 Personen eine der zahlenmäßig kleinsten Minderheiten stellt, zeichnet sie sich durch eine Vielfalt aus, die für ein einziges Land erstaunen mag. Die Bandbreite der Ausformungen des Islam ist historisch begründet und größtenteils mit der unterschiedlichen Migrationsgeschichte der jeweiligen Gruppen zu erklären. Mit der politischen Wende und dem Ende des Apartheidsystems erhielten auch die Debatten um die Einführung des Muslimischen Personenstandsrechts neue Konturen.

Israel//Militarismus
New Profile: Kinderrekrutierung und Militarismus: das israelische Modell
Ende Juli 2004 hat «New Profile» einen umfassenden Bericht über Kinderrekrutierung in Israel veröffentlicht. Die 54-seitige Broschüre erläutert den juristischen, historischen und kulturellen Hintergrund der Kinderrekrutierung in Israel und beschreibt die Vorbereitung israelischer Kinder auf deren zukünftige Rolle als Soldat. Die Autorin und die Autoren gehen der Frage nach, warum es der israelischen Gesellschaft im Großen und Ganzen nicht gelingt, selbst in den schlimmsten Fällen von Kinderrekrutierung kein Problem zu erkennen.

B. Michael: Bestätigt und Eingestanden (Satire)
Die Satiren B. Michaels stehen im Kontext der für die israelische Gesellschaft typischen moralischen Immunität. Schon während des Israelfeldzuges in den Libanon 1982 wurde diese Frage von Uri Avnery aufgeworfen, der – so hält es der Journalist Robert Fisk fest – den Zusammenhang zwischen Holocaust und moralischer Immunität ironisierend erläutert: daß erfahrenes Leid nicht läutert, sondern im Gegenteil, korrumpiert. Im Leiden gebe es etwas was eine Art Egoismus kreiiere. Deshalb hält sich in Israel auch hartnäckig die Auffassung, daß die IDF humaner sei als andere Armeen. Deshalb auch der Slogan der „Reinheit der Waffen“, den sich schon 1948 die Haganah sich auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Untenstehende Satire ist auf dem Hintergrund der allein 140 (2004) getöteten Kinder in den besetzten Gebieten und der Ermordung der 13jährigen Iman al-Hamas durch einen Offizier zu verstehen.

Palästina//Wahlen
Helga Baumgarten: Palästina nach den Wahlen
Mit einer klaren Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewann Mahmud Abbas, der Wunschkandidat der USA und auch Europas, die nach dem Tode von Yasir Arafat angesetzten palästinensischen Präsidentschaftswahlen am 9. Januar 2005. Seine Anhänger ließen sich den Wahlsieg nicht schmälern durch die sehr geringe Wahlbeteiligung von knapp 45 %. Für wichtig hielt man außerdem, zumindest im Westen, zwei schlichte Tatsachen, daß nämlich der Machtwechsel in Palästina reibungslos abgelaufen war und, daß anstelle des nahöstlichen „Bösewichtes“ und „Erzterroristen“ Arafat nun endlich ein präsentabler Palästinenser (d.h. rasiert, mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte!) an die Spitze der Gesellschaft im Westjordanland und Gazastreifen getreten war.

Irak//Wahlen
Juan Cole: Das schiitische Erdbeben
Juan Cole, Professor an der Michigan State University, hat diesen Artikel kurz nach den Wahlen geschrieben. Er geht der Frage nach, aus welchen Kräften die neue politische Landschaft besteht und inwieweit diese Bestand haben kann. Seit den Wahlen bemüht sich Iyad Allawi eine Allianz gegen die Kräfte der Vereinigten Irakischen Allianz zu schmieden, wohl wissend daß die Bremer-Festlegung eine 2/3 Mehrheit bei wichtigen Entscheidungen vorsieht. Er versucht es mit alten Baathkadern und den Kurden, die allerdings klare Bedingungen stellen: Legalisierung der Peshmerga-Milizen und Eingliederung der Stadt Kirkuk in ein Irakisch-Kurdistan.

Libyen//EU
Helmut Dietrich: Die EU beginnt mit der Einrichtung von Abschiebe- und Flüchtlingslagern
”Ich schreibe Ihnen wegen der widerlichen neuen Konzentrationslager, die auf Veranlassung der Berlusconi-Regierung auf libyschem Boden errichtet werden,” schreibt der libysche Intellektuelle Abi Elkafi in einem offenen Brief an den libyschen Botschafter in Rom, ”wie können Sie die Konzentrationslager vergessen, die die italienischen Kolonialisten in Libyen gebaut und in die sie Ihre große Familie, die der Obeidat, verschleppt haben? Warum fehlt Ihnen das Selbstbewußtsein, warum verweigern Sie sich nicht?” Im Juni 1930 hatte der italienische Gouverneur Libyens einen Großteil der damals 700.000 Bewohner des Landes internieren lassen. Im September und Oktober 2000 war es zu Pogromen gegen Arbeitsmigranten in Libyen gekommen. Anfang Oktober hat das italienische Staatsfernsehen RAI Aufnahmen aus einem libyschen Flüchtlingslager gezeigt, in dem die Internierten schwer bewacht wurden. Stehen diese Internierungen im Kontext der von Otto Schily propagierten Off-Shore-Lager der EU? Dann wird Libyen in die Abschiebepolitik der EU integriert.

Tunesien//Zivilgesellschaft
Sihem Bensedrin und Omar Mestiri: Europa und seine Despoten: Das tunesische Modell
Der vom UNDP herausgegebene Arab Human Development Report (s. Inamo Heft 36) setzt zwei Staaten ranggleich an die Spitze der repressivsten Regime der Region: Saudi-Arabien und Tunesien. Das kleine Ländchen im Norden Afrikas, dieses Eldorado des europäischen Tourismus, der Musterschüler des IWF und bevorzugte Partner der EU – eine Hochburg von Unterdrückung und Folter, von Korruption und Bereicherung? Sihem Bensedrin, Sprecherin der – offiziell nicht zugelassenen – Menschenrechtsorganisation „Conseil National des Libertés en Tunisie“, CNLT, und Omar Mestiri erklären in ihrem soeben erschienen Buch das Funktionieren des „Tunesischen Systems“. Und, so die Autoren, dieses System macht Schule: In Algerien, Marokko, Libyen, wo prowestliche Politik, ökonomischer Liberalismus und Attrappen einer Fassadendemokratie wirkungsvoll vermarktet werden, während in Wirklichkeit mafiose Strukturen durchaus im Interesse des Westens die politische und ökonomische Macht ausüben.

Medien
Olaf Köndgen: Die holländische Zeitschrift ZemZem

Literatur
Stephan Milich: Nora Amin – Kurzgeschichten aus Erinnerung und Imagination
„Tod, Unterdrückung, Repression, Einsamkeit, Liebe und Widerstand sind die bisherigen Grundthemen meiner Arbeit. Ich würde mich sehr gerne von ihnen befreien und mich anderen Themen zuwenden, aber ich weiß nicht wie“. Diese Sätze schrieb die junge ägyptische Autorin und Dramatikerin Nora Amin über ihre Arbeit als Theaterregisseurin, doch beschreiben sie ebenso treffend die Grundkonstanten ihrer Romane und Erzählungen. Immer wieder treffen die Protagonistinnen – im Mittelpunkt der Geschichten stehen meistens Frauen – auf den Tod, auf eine schmerzliche Erfahrung oder reiben sich an einer unmöglichen Liebe und ihrer Beziehungsunfähigkeit auf.

Zeitensprung
Werner Ruf: Das Massaker in Sétef (Algerien) 8. März 1945
Tag der Befreiung vom Faschismus in Deutschland, Tag der Siegesfeiern der Alliierten. Tag des Beginns einer fürchterlichen Repression bei jenen, die als Kanonenfutter wesentlich dazu beigetragen hatten, Frankreich einen Platz unter den Siegermächten zu verschaffen. Als französische Staatsangehörige waren die Algerier zum Kriegsdienst verpflichtet, jedoch waren sie keine Staatsbürger, da sie dem «muslimischen Statut» unterstanden, das ihnen die Wahrnehmung bürgerlicher Rechte wie das des aktiven und passiven Wahlrechts und den Zugang zu Ämtern in der Verwaltung verweigerte – ein gelungener Beitrag der Kolonialmacht zur Politisierung des Islam. Im 1. Weltkrieg hatte Frankreich 173.000 Algerier eingezogen, davon fielen 25.000. Im 2. Weltkrieg hatte die gaullistische Führung des «Freien Frankreich» 136.000 Algerier rekrutiert. Etwa 12.000 von ihnen starben für die Befreiung Europas vom Faschismus, Unzählige wurden verwundet. Auch die Algerier wollten am 8. Mai 1945 demonstrieren

Ex Libris
Ludwig Watzal: John Rose, The Myths of Zionism, Pluto Press, London 2004, 232 Seiten, £ 14.99.
Uri Davis, Apartheid Israel. Possibilities for the struggle within, Zed Books, London 2003, 242 Seiten, £ 14.95.
Nur Masalha, The Politics of Denial. Israel and the Palestinian Refugee Problem, Pluto Press, London 2003, 298 Seiten, £ 16.99.
Bernhard Hillenkamp: Christoph Reuter, Susanne Fischer: Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak. C. Bertelsmann Verlag, München, 320 Seiten, 2004, ISBN 3570007936, geb., 19,90 EUR.

//Nachrichten/Ticker//

Gastkommentar
Ahmad Hissou: Libanon – Ende der syrischen Kontrolle: Was kommt danach?

AFRIKA//ISLAM
Patrick Desplat: Äthiopien – Diaspora am Horn von Afrika?
Äthiopien als christliches Eiland inmitten eines Meers des Unglaubens? Mitnichten! Äthiopien wird im afrikanischen Kontext seit jeher ein besonderer Status eingeräumt, der im historischen Erbe und der damit verknüpften Wahrnehmung „Abessiniens“ begründet liegt. Abessinien, so die gebräuchliche Bezeichnung für Äthiopien bis in die 1930iger Jahre, steht für den Hort einer jahrhundertealten, orthodox-christlichen Tradition und für ein im Hochgebirge des nordöstlichen Afrikas isoliert und zurückgezogenes ebenso altes kaiserliches Reich. Mit dem Sieg über die Italiener 1896 in Adwa konnte sich das Reich zudem den europäischen Kolonialbestrebungen entziehen und blieb bis auf eine kurze italienische Besatzungszeit (1936-1941) unabhängig.

Rüdiger Seesemann: Kenia – Muslime im politischen Wandel
Die ostafrikanische Küste zählt zu den Gebieten, die nach dem 11. September 2001 stärker in das Blickfeld amerikanischer Militärstrategen rückten. Das plötzliche Interesse auswärtiger Mächte hatte die Region zum einen ihrer geographischen Lage am Indischen Ozean zu verdanken, und zum anderen wurde das seit mehr als einem Jahrzehnt von Staatszerfall betroffene Somalia als potenzieller Rückzugsraum für al-Qa’ida-Mitglieder gehandelt. Vorübergehend machten Spekulationen die Runde, daß die Bush-Administration ein militärisches Eingreifen in Somalia planen könnte, um nach afghanischem Vorbild die dort vermuteten Terroristenhöhlen „auszuräuchern“. Allerdings ließ die unübersichtliche Situation in Somalia ein solches Unterfangen nicht als aussichtsreich erscheinen, und die „Allianz gegen den Terror“ begnügte sich mit der Überwachung des Schiffsverkehrs im Indischen Ozean, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt. Auf dem ostafrikanischen Festland geriet unterdessen Kenia in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – eine Entwicklung mit Folgen für die dort lebenden Muslime.

Roman Loimeier: Tansania – Muslime suchen ihre nationale Rolle
Während muslimische Gesellschaften in Ostafrika über Jahrhunderte im wesentlichen auf die Küstengebiete (sawahil, daher „Swahili“) und die vorgelagerten Inseln beschränkt waren, kam es im 19. Jahrhundert zu einer langsamen Expansion muslimischer Händlernetzwerke in die Regionen des Hinterlandes (Swahili: bara). Im 20. Jahrhundert haben diese muslimischen Gemeinschaften in Uganda, Kenya, aber vor allem Tanganyika, das seit 1964 mit dem Inselstaat Sansibar zur Republik Tansania wurde, enorm an Zahl und Bedeutung gewonnen. Muslime stellen heute einen beträchtlichen Anteil der Bevölkerung der ostafrikanischen Länder.

Benjamin Soares: Mali: Islamismus im Visier
Mali ist eines der ärmsten Länder der Erde und zugleich einer der größten Empfänger von Auslandshilfe. Natürlich wäre es naiv anzunehmen, daß die erheblichen Summen unabhängig von geopolitischen und strategischen Interessen der Geberländer fließen. In der Tat tendieren die politischen Kreise sowohl in den USA als auch in der EU dazu, Mali aufgrund seiner langen Grenzen zu Mauretanien und Algerien als potenzielle Barriere gegen das Vordringen eines radikalen Islam nach Westafrika zu erachten. Seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion, zu der Mali wichtige Beziehungen hatte, wurde das Land von europäischen und amerikanischen Geberinstitutionen als Modell für den Übergang zur Demokratie und für die Umsetzung einer liberalen Wirtschaftspolitik gepriesen. Seit dem 11. September 2001 allerdings, seit es heißt, überall auf der Welt nach Hinweisen auf islamischen „Fundamentalismus“, Islamismus bzw. politischen Islam zu suchen, ist auch Mali ins Visier geraten.

Ousmane Kane: Senegal – Die Sufi-Bruderschaften
Zu den oft herausgestellten charakteristischen Besonderheiten des politischen Systems in Senegal gehört nicht nur seine im Vergleich mit anderen afrikanischen Staaten große Stabilität, sondern auch die Tatsache, daß im ganzen Land und insbesondere unter der ländlichen Bevölkerung gut strukturierte muslimische religiöse Organisationen tief verwurzelt sind – die islamischen Bruderschaften oder Sufi-Orden.

Franz Kogelmann: Nigeria – Scharia Debatten
Es gibt kaum ein Thema, das die westliche Öffentlichkeit mehr beunruhigt, als das unbedingte Festhalten von Muslimen am islamischen Recht, der Scharia. Irritierend wirkt vor allem das Bekenntnis vieler Muslime – ohne dies näher zu erläutern –, daß der Islam die Scharia und die Scharia der Islam sei, beide einander deckungsgleich bedingen und die Scharia die Essenz ihrer Religion sei. Im Westen hingegen wird das islamische Recht als archaisches Recht wahrgenommen, das inkompatibel mit zeitgenössischen Rechtsstandards ist. Während zivilrechtliche Aspekte der Scharia für die Unterdrückung von Frauen verantwortlich gemacht werden, steht das islamische Strafrecht für grausame Körperstrafen, die den „westlichen“ Menschenrechten diametral entgegenstehen. Weit weniger bekannt ist jedoch die Tatsache, daß in vielen durch den Islam geprägten Ländern öffentliche Debatten über das islamische Recht geführt werden. So auch seit 1999 in Nigeria.

Anke Bossalle r: Nigeria – Steinigungsurteile
In den nördlichen Bundesstaaten von Nigeria wurden zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts Frauen auf Grundlage der Scharia wegen zina (Unzucht, Ehebruch) zur Steinigung verurteilt. Diese Urteile erregten auch in der ‚westlichen Welt‘ große Aufmerksamkeit. Die Urteile waren möglich geworden, weil das bei der Unabhängigkeit 1960 eingeführte Strafgesetz durch die Inkraftsetzung der Scharia seine Gültigkeit verloren hatte. Das erste Urteil betraf Safiyatu Husseini. Sie brachte nach drei Jahren, die sie wegen Abwesenheit des Ehemannes und dann Scheidung alleine gelebt hatte, ein Kind zur Welt.

Ursula Günther: Südafrika – Debatten um das Personenstandsrecht
Obwohl Südafrikas muslimische Bevölkerung knapp 1,3 % der Gesamtbevölkerung beträgt und mit ca. 550.000 Personen eine der zahlenmäßig kleinsten Minderheiten stellt, zeichnet sie sich durch eine Vielfalt aus, die für ein einziges Land erstaunen mag. Die Bandbreite der Ausformungen des Islam ist historisch begründet und größtenteils mit der unterschiedlichen Migrationsgeschichte der jeweiligen Gruppen zu erklären. Mit der politischen Wende und dem Ende des Apartheidsystems erhielten auch die Debatten um die Einführung des Muslimischen Personenstandsrechts neue Konturen.

Israel//Militarismus
New Profile: Kinderrekrutierung und Militarismus: das israelische Modell
Ende Juli 2004 hat «New Profile» einen umfassenden Bericht über Kinderrekrutierung in Israel veröffentlicht. Die 54-seitige Broschüre erläutert den juristischen, historischen und kulturellen Hintergrund der Kinderrekrutierung in Israel und beschreibt die Vorbereitung israelischer Kinder auf deren zukünftige Rolle als Soldat. Die Autorin und die Autoren gehen der Frage nach, warum es der israelischen Gesellschaft im Großen und Ganzen nicht gelingt, selbst in den schlimmsten Fällen von Kinderrekrutierung kein Problem zu erkennen.

B. Michael: Bestätigt und Eingestanden (Satire)
Die Satiren B. Michaels stehen im Kontext der für die israelische Gesellschaft typischen moralischen Immunität. Schon während des Israelfeldzuges in den Libanon 1982 wurde diese Frage von Uri Avnery aufgeworfen, der – so hält es der Journalist Robert Fisk fest – den Zusammenhang zwischen Holocaust und moralischer Immunität ironisierend erläutert: daß erfahrenes Leid nicht läutert, sondern im Gegenteil, korrumpiert. Im Leiden gebe es etwas was eine Art Egoismus kreiiere. Deshalb hält sich in Israel auch hartnäckig die Auffassung, daß die IDF humaner sei als andere Armeen. Deshalb auch der Slogan der „Reinheit der Waffen“, den sich schon 1948 die Haganah sich auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Untenstehende Satire ist auf dem Hintergrund der allein 140 (2004) getöteten Kinder in den besetzten Gebieten und der Ermordung der 13jährigen Iman al-Hamas durch einen Offizier zu verstehen.

Palästina//Wahlen
Helga Baumgarten: Palästina nach den Wahlen
Mit einer klaren Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewann Mahmud Abbas, der Wunschkandidat der USA und auch Europas, die nach dem Tode von Yasir Arafat angesetzten palästinensischen Präsidentschaftswahlen am 9. Januar 2005. Seine Anhänger ließen sich den Wahlsieg nicht schmälern durch die sehr geringe Wahlbeteiligung von knapp 45 %. Für wichtig hielt man außerdem, zumindest im Westen, zwei schlichte Tatsachen, daß nämlich der Machtwechsel in Palästina reibungslos abgelaufen war und, daß anstelle des nahöstlichen „Bösewichtes“ und „Erzterroristen“ Arafat nun endlich ein präsentabler Palästinenser (d.h. rasiert, mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte!) an die Spitze der Gesellschaft im Westjordanland und Gazastreifen getreten war.

Irak//Wahlen
Juan Cole: Das schiitische Erdbeben
Juan Cole, Professor an der Michigan State University, hat diesen Artikel kurz nach den Wahlen geschrieben. Er geht der Frage nach, aus welchen Kräften die neue politische Landschaft besteht und inwieweit diese Bestand haben kann. Seit den Wahlen bemüht sich Iyad Allawi eine Allianz gegen die Kräfte der Vereinigten Irakischen Allianz zu schmieden, wohl wissend daß die Bremer-Festlegung eine 2/3 Mehrheit bei wichtigen Entscheidungen vorsieht. Er versucht es mit alten Baathkadern und den Kurden, die allerdings klare Bedingungen stellen: Legalisierung der Peshmerga-Milizen und Eingliederung der Stadt Kirkuk in ein Irakisch-Kurdistan.

Libyen//EU
Helmut Dietrich: Die EU beginnt mit der Einrichtung von Abschiebe- und Flüchtlingslagern
”Ich schreibe Ihnen wegen der widerlichen neuen Konzentrationslager, die auf Veranlassung der Berlusconi-Regierung auf libyschem Boden errichtet werden,” schreibt der libysche Intellektuelle Abi Elkafi in einem offenen Brief an den libyschen Botschafter in Rom, ”wie können Sie die Konzentrationslager vergessen, die die italienischen Kolonialisten in Libyen gebaut und in die sie Ihre große Familie, die der Obeidat, verschleppt haben? Warum fehlt Ihnen das Selbstbewußtsein, warum verweigern Sie sich nicht?” Im Juni 1930 hatte der italienische Gouverneur Libyens einen Großteil der damals 700.000 Bewohner des Landes internieren lassen. Im September und Oktober 2000 war es zu Pogromen gegen Arbeitsmigranten in Libyen gekommen. Anfang Oktober hat das italienische Staatsfernsehen RAI Aufnahmen aus einem libyschen Flüchtlingslager gezeigt, in dem die Internierten schwer bewacht wurden. Stehen diese Internierungen im Kontext der von Otto Schily propagierten Off-Shore-Lager der EU? Dann wird Libyen in die Abschiebepolitik der EU integriert.

Tunesien//Zivilgesellschaft
Sihem Bensedrin und Omar Mestiri: Europa und seine Despoten: Das tunesische Modell
Der vom UNDP herausgegebene Arab Human Development Report (s. Inamo Heft 36) setzt zwei Staaten ranggleich an die Spitze der repressivsten Regime der Region: Saudi-Arabien und Tunesien. Das kleine Ländchen im Norden Afrikas, dieses Eldorado des europäischen Tourismus, der Musterschüler des IWF und bevorzugte Partner der EU – eine Hochburg von Unterdrückung und Folter, von Korruption und Bereicherung? Sihem Bensedrin, Sprecherin der – offiziell nicht zugelassenen – Menschenrechtsorganisation „Conseil National des Libertés en Tunisie“, CNLT, und Omar Mestiri erklären in ihrem soeben erschienen Buch das Funktionieren des „Tunesischen Systems“. Und, so die Autoren, dieses System macht Schule: In Algerien, Marokko, Libyen, wo prowestliche Politik, ökonomischer Liberalismus und Attrappen einer Fassadendemokratie wirkungsvoll vermarktet werden, während in Wirklichkeit mafiose Strukturen durchaus im Interesse des Westens die politische und ökonomische Macht ausüben.

Medien
Olaf Köndgen: Die holländische Zeitschrift ZemZem

Literatur
Stephan Milich: Nora Amin – Kurzgeschichten aus Erinnerung und Imagination
„Tod, Unterdrückung, Repression, Einsamkeit, Liebe und Widerstand sind die bisherigen Grundthemen meiner Arbeit. Ich würde mich sehr gerne von ihnen befreien und mich anderen Themen zuwenden, aber ich weiß nicht wie“. Diese Sätze schrieb die junge ägyptische Autorin und Dramatikerin Nora Amin über ihre Arbeit als Theaterregisseurin, doch beschreiben sie ebenso treffend die Grundkonstanten ihrer Romane und Erzählungen. Immer wieder treffen die Protagonistinnen – im Mittelpunkt der Geschichten stehen meistens Frauen – auf den Tod, auf eine schmerzliche Erfahrung oder reiben sich an einer unmöglichen Liebe und ihrer Beziehungsunfähigkeit auf.

Zeitensprung
Werner Ruf: Das Massaker in Sétef (Algerien) 8. März 1945
Tag der Befreiung vom Faschismus in Deutschland, Tag der Siegesfeiern der Alliierten. Tag des Beginns einer fürchterlichen Repression bei jenen, die als Kanonenfutter wesentlich dazu beigetragen hatten, Frankreich einen Platz unter den Siegermächten zu verschaffen. Als französische Staatsangehörige waren die Algerier zum Kriegsdienst verpflichtet, jedoch waren sie keine Staatsbürger, da sie dem «muslimischen Statut» unterstanden, das ihnen die Wahrnehmung bürgerlicher Rechte wie das des aktiven und passiven Wahlrechts und den Zugang zu Ämtern in der Verwaltung verweigerte – ein gelungener Beitrag der Kolonialmacht zur Politisierung des Islam. Im 1. Weltkrieg hatte Frankreich 173.000 Algerier eingezogen, davon fielen 25.000. Im 2. Weltkrieg hatte die gaullistische Führung des «Freien Frankreich» 136.000 Algerier rekrutiert. Etwa 12.000 von ihnen starben für die Befreiung Europas vom Faschismus, Unzählige wurden verwundet. Auch die Algerier wollten am 8. Mai 1945 demonstrieren

Ex Libris
Ludwig Watzal: John Rose, The Myths of Zionism, Pluto Press, London 2004, 232 Seiten, £ 14.99.
Uri Davis, Apartheid Israel. Possibilities for the struggle within, Zed Books, London 2003, 242 Seiten, £ 14.95.
Nur Masalha, The Politics of Denial. Israel and the Palestinian Refugee Problem, Pluto Press, London 2003, 298 Seiten, £ 16.99.
Bernhard Hillenkamp: Christoph Reuter, Susanne Fischer: Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak. C. Bertelsmann Verlag, München, 320 Seiten, 2004, ISBN 3570007936, geb., 19,90 EUR.

//Nachrichten/Ticker//